Dienstag, Januar 29, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 69 - 72

2. Abschnitt: Öffentlichkeit

Art. 69 Grundsätze
1 Die Verhandlungen vor dem erstinstanzlichen Gericht und dem Berufungsgericht sowie die mündliche Eröffnung von Urteilen und Beschlüssen dieser Gerichte sind mit Ausnahme der Beratung öffentlich.
2 Haben die Parteien in diesen Fällen auf eine öffentliche Urteilsverkündung verzichtet oder ist ein Strafbefehl ergangen, so können interessierte Personen in die Urteile und Strafbefehle Einsicht nehmen.
3 Nicht öffentlich sind:
a. das Vorverfahren; vorbehalten bleiben Mitteilungen der Strafbehörden an die Öffentlichkeit;
b. das Verfahren des Zwangsmassnahmengerichts;
c. das Verfahren der Beschwerdeinstanz und, soweit es schriftlich durchgeführt wird, des Berufungsgerichts;
d. das Strafbefehlsverfahren.
4 Öffentliche Verhandlungen sind allgemein zugänglich, für Personen unter 16 Jahren jedoch nur mit Bewilligung der Verfahrensleitung.

Art. 70 Einschränkungen und Ausschluss der Öffentlichkeit
1 Das Gericht kann die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ganz oder teilweise ausschliessen, wenn:
a. die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder schutzwürdige Interessen einer beteiligten Person, insbesondere des Opfers, dies erfordern;
b. grosser Andrang herrscht.
2 Ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, so können sich die beschuldigte Person, das Opfer und die Privatklägerschaft von höchstens drei Vertrauenspersonen begleiten lassen.
3 Das Gericht kann Gerichtsberichterstatterinnen und Gerichtsberichterstattern und weiteren Personen, die ein berechtigtes Interesse haben, unter bestimmten Auflagen
den Zutritt zu Verhandlungen gestatten, die nach Absatz 1 nicht öffentlich sind.
4 Wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen, so eröffnet das Gericht das Urteil in einer öffentlichen Verhandlung oder orientiert die Öffentlichkeit bei Bedarf in anderer geeigneter Weise über den Ausgang des Verfahrens.

Art. 71 Bild- und Tonaufnahmen
1 Bild- und Tonaufnahmen innerhalb des Gerichtsgebäudes sowie Aufnahmen von Verfahrenshandlungen ausserhalb des Gerichtsgebäudes sind nicht gestattet.
2 Widerhandlungen können nach Artikel 64 Absatz 1 mit Ordnungsbusse bestraft werden. Unerlaubte Aufnahmen können beschlagnahmt werden.

Art. 72 Gerichtsberichterstattung
Bund und Kantone können die Zulassung sowie die Rechte und Pflichten der Gerichtsberichterstatterinnen und Gerichtsberichterstatter regeln.


Art. 69:
Der Grundsatz der Öffentlichkeit von Verfahren vor staatlichen Gerichten ist bereits in Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 3 BV verankert. Er hat zwei Stossrichtungen. Einerseits soll er den am Verfahren beteiligten Personen eine korrekte Behandlung gewährleisten. Andererseits soll der Öffentlichkeit ermöglicht werden, festzustellen, "wie das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird" BGE 133 I 106. Das Öffentlichkeitsprinzip liegt somit auch im öffentlichen Interesse, indem es eine öffentliche Kontrolle der Rechtspflege ermöglicht.

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Parteiöffentlichkeit und Publikumsöffentlichkeit. Als Teilaspekt der Publikumsöffentlichkeit erscheint auch die mittelbare Öffentlichkeit (Presseöffentlichkeit). Publikumsöffentlich sind prinzipiell die Hauptverhandlung vor erster Instanz und vor der Berufungsinstanz. Demgegenüber ist das Vorverfahren grundsätzlich lediglich parteiöffentlich und nicht publikumsöffentlich.

Desweitern bestehen Berührungspunkte zwischen dem Grundsatz der Öffentlichkeit und dem der Mündlichkeit. Das Verfahren kann nur soweit öffentlich sein, als es auch mündlich ist. Ist das Berufungsverfahren ausnahmsweise schriftlich, so ist es auch nicht öffentlich. Ebensowenig öffentlich ist das Strafbefehlsverfahren. Keinesfalls öffentlich ist indes das Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht, selbst dann, wenn es mündlich ist.

Sofern die Parteien auf eine mündliche Urteilsverkündung verzichtet haben, können Interessierte in die Urteile Einsicht nehmen. Diese gilt auch für die Strafbefehle (Abs. 2).

Art. 70:
Unter bestimmten Voraussetzungen (Abs. 1) kann das Gericht die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausschliessen. Hievon ist jedoch lediglich mit grosser Zurückhaltung Gebrauch zu machen. Was schutzwürdige Interessen von Verfahrensbeteiligten anbelangt, welche einen Ausschluss der Öffentlichkeit rechtfertigen können, ist primär an die Interessen des Opfers zu denken. Der Angeschuldigte hingegen hat die mit jeder öffentlichen Verhandlung notgedrungenermassen verbundenen Eingriffe in seine persönlichen Verhältnisse in aller Regel hinzunehmen BGE 119 Ia 99.

Ist die Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung ausgeschlossen worden, so können sich der Angeschuldigte, das Opfer sowie die Privatklägerschaft von je höchstens 3 Vertrauenspersonen begleiten lassen (dies gewährleistet zumindest eine in gewisser Weise reduzierte oder selektive Öffentlichkeit (Abs. 2). Es ist nach Möglichkeit auch zumindest die mittelbare Öffentlichkeit zu gewährleisten, indem den Vertretern der Medien unter bestimmten Auflagen die Teilnahme und Berichterstattung über den Prozess erlaubt wird (Abs. 3). Ebenfalls hat die Urteilseröffnung in diesem Fall öffentlich zu erfolgen oder die Öffentlichkeit ist auf geeignete Weise über den Ausgang des Verfahrens zu orientieren (Abs. 4).

Art. 71:
Eine generelle Einschränkung erhält der Öffentlichkeitsanspruch hinsichtlich des Verbots von Bild- und Tonaufnahmen innerhalb des Gerichtsgebäudes oder anlässlich von Verfahrenshandlungen des Gerichts ausserhalb des Gerichtsgebäudes. Art. 71 sieht keine Ausnahmen vor. Im Gegensatz etwa zum angloamerikanischen Rechtssystem hat die sog. "Live-Gerichtsberichterstattung" ("Court-TV") in der Schweiz keine Tradition.

Art. 72:
Diese Bestimmung befasst sich mit der mittelbaren Öffentlichkeit. Bund und Kantone können die Zulassung sowie die Rechte und Pflichten der Gerichtsberichterstatter regeln. Zulässig wäre etwa ein sog. Akkreditierungssystem.

Donnerstag, Januar 17, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 66 - 68

8. Kapitel: Allgemeine Verfahrensregeln

1. Abschnitt: Mündlichkeit; Sprache


Art. 66 Mündlichkeit
Die Verfahren vor den Strafbehörden sind mündlich, soweit dieses Gesetz nicht Schriftlichkeit vorsieht.

Art. 67 Verfahrenssprache
1 Bund und Kantone bestimmen die Verfahrenssprachen ihrer Strafbehörden.
2 Die Strafbehörden der Kantone führen alle Verfahrenshandlungen in ihren Verfahrenssprachen
durch; die Verfahrensleitung kann Ausnahmen gestatten.

Art. 68 Übersetzungen
1 Versteht eine am Verfahren beteiligte Person die Verfahrenssprache nicht oder kann sie sich darin nicht genügend ausdrücken, so zieht die Verfahrensleitung eine Übersetzerin oder einen Übersetzer bei. Sie kann in einfachen oder dringenden
Fällen mit dem Einverständnis der betroffenen Person davon absehen, wenn sie und die protokollführende Person die fremde Sprache genügend beherrschen.
2 Der beschuldigten Person wird, auch wenn sie verteidigt wird, in einer ihr verständlichen Sprache mindestens der wesentliche Inhalt der wichtigsten Verfahrenshandlungen mündlich oder schriftlich zur Kenntnis gebracht. Ein Anspruch auf vollständige Übersetzung aller Verfahrenshandlungen sowie der Akten besteht nicht.
3 Akten, die nicht Eingaben von Parteien sind, werden soweit erforderlich schriftlich oder zuhanden des Protokolls mündlich übersetzt.
4 Für die Übersetzung der Befragung des Opfers einer Straftat gegen die sexuelle Integrität ist eine Person gleichen Geschlechts beizuziehen, wenn das Opfer dies verlangt und wenn dies ohne ungebührliche Verzögerung des Verfahrens möglich
ist.
5 Für Übersetzerinnen und Übersetzer gelten die Bestimmungen über Sachverständige (Art. 73, 105, 182–191) sinngemäss.


Art. 66:
Das Strafverfahren nach der CHStPO ist grundsätzlich mündlich, soweit das Gesetz nicht explizit Schriftlichkeit vorsieht.

Daraus folgt, dass sämtliche Verfahrenshandlungen, welche nicht schriftlich erfolgen, zu protokollieren sind (Art. 76). Bei dieser Dokumentationspflicht handelt es sich somit um eine Auswirkung aus dem Grundsatz der Mündlichkeit und nicht etwa um eine Beschränkung des Grundsatzes der Mündlichkeit. Das Strafverfahren wird nicht dadurch zum schriftlichen Verfahren, dass mündliche Verfahrenshandlungen protokolliert werden.

Art. 110 Abs. 1 führt den Grundsatz der Mündlichkeit weiter aus, indem er bestimmt, dass Eingaben der Parteien mündlich zu Protokoll gegeben werden können. Dies wird wiederum etwa bezüglich das Haftentlassungsgesuch des Beschuldigten in Art. 228 Abs. 1 nochmals ausdrücklich festgehalten (ohne dass dies freilich nötig wäre).

Beschränkungen des Grundsatzes der Mündlichkeit sieht die CHStPO etwa für folgende Verfahren vor:

- im Haftverfahren: abgesehen vom Haftentlassungsgesuch, welches wie erwähnt mündlich erfolgen kann, sind die Anträge der Staatsanwaltschaft auf Haftanordnung und Haftverlängerung schriftlich zu stellen (Art. 224 Abs. 2, Art. 227 Abs. 2); das Haftgericht hat seinen Entscheid schriftlich zu begründen (Art. 226 Abs. 2); das Entscheidverfahren bezüglich der Haftanordnung ist demgegenüber wieder grundsätzlich mündlich, der Beschuldigte kann aber auf eine Verhandlung verzichten (Art. 225 Abs. 1 und 5); dasselbe gilt für die Entscheide über Haftentlassungen (Art. 228 Abs. 4); demgegenüber ist das Entscheidverfahren über Haftverlängerungen grundsätzlich schriftlich, ausnahmsweise mündlich (Art. 227 Abs. 6).

- das Strafbefehlsverfahren ist ausnahmslos schriftlich (inkl. die Einsprache, Art. 352 ff, insb. Art. 354 Abs. 1)

- das Beschwerdeverfahren (Art. 393 ff, insb. Art. 396 Abs. 1 und 397 Abs. 1) und das Revisionsverfahren (Art. 410 ff, insb. Art. 411 Abs. 1 und 412 Abs. 1) sind ausnahmslos schriftlich; das Berufungsverfahren (Art. 398 ff) und das erstinstanzliche Hauptverfahren (Art. 328 ff) demgegenüber mündlich (das Hauptverfahren ausnahmslos; beim Berufungsverfahren, wird in gewissen Fällen im schriftlichen Verfahren entschieden: Art. 403).

Art. 67: Bund und Kantone sind in der Bestimmung der Verfahrenssprache autonom.

Art. 68:
Diese Bestimmung regelt die Übersetzung.

Abs. 1 statuiert den Grundsatz, dass ein Übersetzer beizuziehen ist, wenn eine am Verfahren beteiligte Person die Verfahrenssprache nicht beherrscht. In einfachen oder dringenden Fällen, wenn die Verfahrensleitung und die protokollführende Person die Fremdsprache genügend beherrscht, kann mit Zustimmung der betroffenen Person darauf verzichtet werden. Dies sollte jedoch mit grosser Zurückhaltung erfolgen (s. Botschaft, BBl. 2006, S. 1151). Abs. 1 bezieht sich nicht nur auf Parteien sondern auch andere verfahrensbeteiligte Personen (Art. 105), insoweit diese an bestimmten Verfahrenshandlungen teilnehmen müssen.

Abs. 2 regelt das Recht des Beschuldigten auf Übersetzung sämtlicher wesentlichen Verfahrensvorgänge. Dieses Recht leitet sich aus BV 4 und Art. 6 Ziff. 3 lit. e EMRK ab. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Übersetzung aller Schriftstücke und mündlichen Äusserungen, auf deren Verständnis der Angeklagte angewiesen ist, um in den Genuss eines fairen Verfahrens zu kommen. Dazu gehören in der Regel die Anklageschrift, die Instruktion des Verteidigers und die wesentlichen Vorgänge der mündlichen Hauptverhandlung (BGE 118 Ia 462). Je nach den Umständen sind jedoch auch weitere Verfahrenshandlungen oder Aktenbestandteile zu übersetzen, wie etwa der wesentliche Inhalt von Zeugenaussagen, Gutachten, und anderen erheblichen Beweismitteln. Der Anspruch des Beschuldigten auf Übersetzung geht umso weiter, je gewichtiger die Vorhalte gegen den Beschuldigten sind (s.a. den gen. BGE 118 Ia 462 sowie Botschaft, BBl. 2006, S. 1151). In keinem Fall besteht jedoch ein Anspruch auf integrale Übersetzung sämtlicher Verfahrenshandlungen oder der gesamten Verfahrensakten (Abs. 2 am Schluss).

Abs. 3 verpflichtet die Verfahrensleitung, Akten, die nicht Eingaben der Parteien sind, soweit erforderlich schriftlich oder mündlich zu Protokoll zu übersetzen. Soweit erforderlich kann nichts anderes heissen, als soweit der Beschuldigte gemäss der vorstehend zitierten Rechtsprechung ein Recht auf Übersetzung hat oder dies für die Mitwirkung einer Partei oder eines anderen Verfahrensbeteiligten nötig ist.

Sonntag, Januar 13, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 61 - 65

7. Kapitel: Zuständigkeit

Art. 61 Zuständigkeit
Das Verfahren leitet:
a. bis zur Einstellung oder Anklageerhebung: die Staatsanwaltschaft;
b. im Übertretungsstrafverfahren: die Übertretungsstrafbehörde;
c. im Gerichtsverfahren bei Kollegialgerichten: die Präsidentin oder der Präsident des betreffenden Gerichts;
d. im Gerichtsverfahren bei Einzelgerichten: die Richterin oder der Richter.

Art. 62 Allgemeine Aufgaben
1 Die Verfahrensleitung trifft die Anordnungen, die eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens gewährleisten.
2 Im Verfahren vor einem Kollegialgericht kommen ihr alle Befugnisse zu, die nicht dem Gericht vorbehalten sind.

Art. 63 Sitzungspolizeiliche Massnahmen
1 Die Verfahrensleitung sorgt für Sicherheit, Ruhe und Ordnung während der Verhandlungen.
2 Sie kann Personen, die den Geschäftsgang stören oder Anstandsregeln verletzen, verwarnen. Im Wiederholungsfalle kann sie ihnen das Wort entziehen, sie aus dem Verhandlungsraum weisen und nötigenfalls bis zum Schluss der Verhandlung in
polizeilichen Gewahrsam setzen lassen. Sie kann den Verhandlungsraum räumen lassen.
3 Sie kann die Unterstützung der am Orte der Verfahrenshandlung zuständigen Polizei verlangen.
4 Wird eine Partei ausgeschlossen, so wird die Verfahrenshandlung gleichwohl fortgesetzt.

Art. 64 Disziplinarmassnahmen
1 Die Verfahrensleitung kann Personen, die den Geschäftsgang stören, den Anstand verletzen oder verfahrensleitende Anordnungen missachten, mit Ordnungsbusse bis
zu 1000 Franken bestrafen.
2 Ordnungsbussen der Staatsanwaltschaft und der erstinstanzlichen Gerichte können innert 10 Tagen bei der Beschwerdeinstanz angefochten werden. Diese entscheidet
endgültig.

Art. 65 Anfechtbarkeit verfahrensleitender Anordnungen der Gerichte
1 Verfahrensleitende Anordnungen der Gerichte können nur mit dem Endentscheid angefochten werden.
2 Hat die Verfahrensleitung eines Kollegialgerichts vor der Hauptverhandlung verfahrensleitende Anordnungen getroffen, so kann sie das Gericht von Amtes wegen oder auf Antrag ändern oder aufheben.


Das 7. Kapitel regelt unter dem Titel Zuständigkeit die für die Verfahrensleitung zuständigen Straforgane und deren Befugnisse.

Art. 61:

lit. a: Bis zur Anklageerhebung leitet die Staatsanwaltschaft das Verfahren. Das unter der Leitung der Staatsanwaltschaft stehende sog. Vorverfahren besteht aus dem polizeilichen Ermittlungsverfahren (Art. 306 ff) und dem eigentlichen Untersuchungsverfahren (Art. 308 ff). Das Untersuchungsverfahren beginnt mit der Eröffnungsverfügung der Staatsanwaltschaft (Art. 309 Abs. 3). Art. 61 lit. a bestätigt den Grundsatz (der in vielen Bereichen nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Tätigkeit der Kriminalpolizei haben wird) dass der Staatsanwaltschaft auch die Verfahrensleitung über das polizeiliche Ermittlungsverfahren zukommt. Art. 307 regelt die Schnittstellen der polizeilichen Ermittlungstätigkeit und der staatsanwaltlichen Verfahrensführung.

lit. c: Im Gerichtsverfahren bei Kollegialgerichten kommt dem Präsidenten die Verfahrensleitung zu. Abgesehen von der eigentlichen Sitzungsleitung anlässlich der Hauptverhandlung ist der Gerichtspräsident zuständig für die Vorbereitung der Hauptverhandlung. Die diesbezüglichen Aufgaben und Befugnisse des Gerichtspräsidenten gehen primär aus den Art. 329 ff hervor. Hiezu gehört gemäss Art. 332 die Befugnis, Vorverhandlungen zur Regelung organisatorischer Fragen oder Vergleichsverhandlungen zu führen. Gemäss Art. 332 Abs. 3 kann der Präsident auch vorgängige Beweiserhebungen durchführen (wenn die Beweiserhebung an der Hauptverhandlung voraussichtlich nicht möglich sein wird: bspw. die Vernehmung eines im Sterben liegenden Zeugen oder der Augenschein bei einem akut einsturzgefährdeten Gebäude). Er kann damit auch eine Delegation des Gerichts oder in dringenden Fällen den Staatsanwalt betrauen.

Art. 62:
Gemäss Abs. 2 kommen dem Gerichtspräsidenten sämtliche Befugnisse zu, die nicht dem Kollegialgericht vorbehalten sind. Die CHStPO nennt diese, ausschliesslich dem Kollegialgericht vorbehaltenen, Entscheide nirgends explizit. Klarerweise dürfte es sich hiebei hauptsächlich um die verfahrensabschliessenden Entscheide (Schuldspruch, Freispruch, Einstellung) handeln. Gemäss Art. 339 hat das Kollegialgericht nach Beginn der Hauptverhandlung auch sämtliche erforderlichen Vor- und Zwischenentscheide zu treffen. Diese können jedoch auch vom Präsidenten getroffen werden, insofern sie zeitlich vor Beginn der Hauptverhandlung zu erlassen sind und das Verfahren nicht abschliessen.

Art. 63:
Im Rahmen der sog. sitzungspolizeilichen Massnahmen kann die Verfahrensleitung einer Partei, auch dem Beschuldigten, das Wort entziehen oder diese von der Verhandlung ausschliessen (Abs. 2). Die Verhandlung wird dann ohne die ausgeschlossene Partei weitergeführt (Abs. 4). Hiedurch kann sich eine Einschränkung des Anspruchs auf das rechtliche Gehör der Parteien ergeben (Art. 107 und 108). Dabei ist der Aspekt der Verhältnismässigkeit zu wahren. Der Ausschluss des Beschuldigten von der Hauptverhandlung sollte daher nur mit äusserster Zurückhaltung angeordnet werden. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist in diesem Falle durch entsprechende Ersatzmassnahmen Rechnung zu tragen.

Art. 64:
Art. 64 sieht als mögliche Disziplinarmassnahmen lediglich noch Ordnungsbussen vor (nicht wie bisher einige kantonale Prozessordnungen noch Freiheitsstrafen).

Art. 65:
Verfahrensleitende Anordnungen des Gerichtspräsidenten können vom Kollegialgericht anlässlich der Hauptverhandlung auf Antrag oder von Amtes wegen abgeändert werden (Abs. 2). Verfahrensleitende Anordnungen des Kollegialgerichtes (Vor- oder Zwischenentscheide) sind lediglich mit dem Endurteil anfechtbar (Abs. 1, vgl. auch Art. 393 Abs. 1 lit. b). Dasselbe gilt natürlich auch für verfahrensleitende Entscheide des Gerichtspräsidenten, die anlässlich der Hauptverhandlung nicht in Wiedererwägung gezogen werden. Demgegenüber können verfahrensleitende Entscheide der Staatsanwaltschaft und der Übertretungsstrafbehörden mittels Beschwerde angefochten werden (Art. 393 Abs. 1 lit. a).

Freitag, Januar 11, 2008

Nachtrag zu Art. 56 ff CHStPO

Mit Urteil vom 8.1.2008 hat das Obergericht des Kantons Solothurn eine Beschwerde gegen einen Entscheid des Amtsgerichtes Olten-Gösgen abgewiesen. Im angefochtenen Entscheid lehnte das Amtsgericht ein Ausstandsbegehren des Staatsanwaltes gegen die Amtsgerichtspräsidentin, zwei Amtsrichter und einen Gerichtsschreiber ab, welche in einem früheren Entscheid das Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Oltner Vera-Pevos-Stiftung einstellten. Die Einstellung wurde damit begründet, die Schlussverfügung verletze den Anklagegrundsatz. Nachdem das Obergericht eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Einstellungsbeschluss guthiess, wies die Amtsgerichtspärsidentin die Schlussverfügung zur Verbesserung an die Staatsanwaltschaft zurück. Der Staatsanwalt argumentierte nun in seinem Ausstandsbegehren, das Amtsgericht könne nicht in der gleichen Besetzung über die neue Schlussverfügung urteilen, weil es vorbefasst sei. Das Obergericht verneint eine unzulässige Vorbefassung, weil keine besonderen Umstände ersichtlich seien, welche auf eine Befangenheit schliessen liessen. Zudem sei das Ausstandsbegehren zu spät gestellt worden.

Mittwoch, Januar 09, 2008

CHStPO:Kommentar zu Art. 57 - 60

Art. 57 Mitteilungspflicht
Liegt bei einer in einer Strafbehörde tätigen Person ein Ausstandsgrund vor, so teilt die Person dies rechtzeitig der Verfahrensleitung mit.

Art. 58 Ausstandsgesuch einer Partei
1 Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen.
2 Die betroffene Person nimmt zum Gesuch Stellung.

Art. 59 Entscheid
1 Wird ein Ausstandsgrund nach Artikel 56 Buchstabe a oder f geltend gemacht oder widersetzt sich eine in einer Strafbehörde tätige Person einem Ausstandsgesuch einer Partei, das sich auf Artikel 56 Buchstaben b–e abstützt, so entscheidet ohne
weiteres Beweisverfahren und endgültig:
a. die Staatsanwaltschaft, wenn die Polizei betroffen ist;
b. die Beschwerdeinstanz, wenn die Staatsanwaltschaft, die Übertretungsstrafbehörden oder die erstinstanzlichen Gerichte betroffen sind;
c. das Berufungsgericht, wenn die Beschwerdeinstanz oder einzelne Mitglieder des Berufungsgerichts betroffen sind;
d. das Bundesstrafgericht, wenn das gesamte Berufungsgericht betroffen ist.
2 Der Entscheid ergeht schriftlich und ist zu begründen.
3 Bis zum Entscheid übt die betroffene Person ihr Amt weiter aus.
4 Wird das Gesuch gutgeheissen, so gehen die Verfahrenskosten zu Lasten des Bundes beziehungsweise des Kantons. Wird es abgewiesen oder war es offensichtlich verspätet oder mutwillig, so gehen die Kosten zu Lasten der gesuchstellenden Person.

Art. 60 Folgen der Verletzung von Ausstandsvorschriften
1 Amtshandlungen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Person mitgewirkt hat, sind aufzuheben und zu wiederholen, sofern dies eine Partei innert 5 Tagen verlangt, nachdem sie vom Entscheid über den Ausstand Kenntnis erhalten hat.
2 Beweise, die nicht wieder erhoben werden können, darf die Strafbehörde berücksichtigen.
3 Wird der Ausstandsgrund erst nach Abschluss des Verfahrens entdeckt, so gelten die Bestimmungen über die Revision.


Art. 57 verpflichtet die Mitglieder der Strafbehörden, allfällige Austandsgründe der Verfahrensleitung rechtzeitig mitzuteilen. Wann eine solche Mitteilung noch als rechtzeitig zu erachten ist, wird nicht weiter definiert.
Wahrscheinlich meint Art. 57 dasselbe wie Art. 58. In letzterer Bestimmung werden die Parteien, welche Ausstandsgründe geltend machen wollen, angehalten, dies nach Kenntnis des Ausstandsgrundes ohne Verzug zu tun. Dies entspricht auch der heutigen bundesgerichtlichen Praxis.

Rechtzeitig im Sinne von Art. 57 heisst somit ohne Verzug, nachdem dem betroffenen Mitglied der Strafbehörde ein möglicher Ausstandsgrund gegen sich zur Kenntnis gelangt, jedenfalls aber bevor er (mit dieser Kenntnis) weitere Verfahrenshandlungen vornimmt.

Art. 58 äussert sich nicht zur Frage, welche Folgen ein verspätetes Ausstandsgesuch hat. In BGE 118 Ia 282 erachtete es das Bundesgericht als zulässig, ein verspätetes Ausstandsbegehren als verwirkt zu betrachten, insofern nicht eigentliche Ausschlussgründe geltend gemacht würden. Dies dürfte wohl auch unter der dereinstigen Geltung der CHStPO der Fall sein.

Art. 59 regelt das Verfahren der Beurteilung von Ausstandsbegehren. Diesbezüglich wird unterschieden zwischen Ablehnungsgründen (lit. a und f) und Ausschlussgründen (lit. b - e). Über Ablehnungsgründe hat in jedem Fall die gem. lit. a ff. zuständige Behörde zu entscheiden, auch wenn sich das betreffende Mitglied der Strafbehörde selbst als befangen erachtet. Damit soll verhindert werden, dass sich ein Mitglied einer Strafbehörde aus Bequemlichkeit leichtfertig in den Ausstand begibt (s. Botschaft, BBl 2006, S. 1149). Bei den Auschlussgründen hingegen hat die zuständige Behörde nur zu entscheiden, wenn sich der Beamte widersetzt.

Lit. a - d nennen die zum Entscheid zuständigen Behörden. Bemerkenswert ist, dass gemäss lit. a die Staatsanwaltschaft über Ausstandsbegehren gegen die Polizei entscheidet. Dies ist Folge davon, dass gemäss der CHStPO die Polizei ausdrücklich als Strafbehörde angesehen wird und die Staatsanwaltschaft mit der Leitung der Strafuntersuchung betraut und in dieser Eigenschaft Aufsichtsbehörde der Polizei ist. Offen bleibt, wer innerhalb der Staatsanwaltschaft zu entscheiden hat. Sinnvollerweise wird dies der für die Strafuntersuchung im betreffenden Fall zuständige Staatsanwalt sein.

Der Entscheid über Ausstandsbegehren ist endgültig. Bis zum Entscheid übt der betroffene Beamte sein Amt weiter aus. Damit soll verhindert werden, dass das Verfahren mit unberechtigten Ausstandsbegehren verzögert werden kann.

Art. 60: Amthsandlungen, welche trotz Ausstandsgründen vorgenommen wurden, sind nur auf Antrag einer Partei zu wiederholen. Dies ist m.E., soweit Ausschlussgründe betroffen sind, falsch. Amtshandlungen, welche ein Mitglied einer Strafbehörde in Kenntnis eines Ausschlussgrundes und unter Verletzung der Mitteilungspflicht nach Art. 57 vornimmt, sind schlicht und ergreifend nichtig. Daran dürfte auch Art. 60 CHStPO nichts ändern (s.a. BGE 118 Ia 282).

Eine weitere Konzession zugunsten der Gültigkeit der Verfahrenshandlung macht Abs. 2: Beweise, die nicht mehr erhoben werden können (bspw. die erneute Vernehmung eines inzwischen verstorbenen Zeugen), dürfen berücksichtigt werden, auch wenn eine Partei deren Wiederholung beantragt. Auch dies kann m.E. nur bezüglich Ablehnungsgründen gelten, nicht jedoch bezüglich Ausschlussgründen.

Sonntag, Januar 06, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 56

6. Kapitel: Ausstand

Art. 56 Ausstandsgründe
Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
a. in der Sache ein persönliches Interesse hat;
b. in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen Sache tätig war;
c. mit einer Partei, ihrem Rechtsbeistand oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, verheiratet ist, in eingetragener Partnerschaft lebt oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt;
d. mit einer Partei in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem dritten Grad verwandt oder verschwägert ist;
e. mit dem Rechtsbeistand einer Partei oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem zweiten Grad verwandt oder verschwägert ist;
f. aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte.


Art. 56 fasst unter dem Begriff Ausstandsgründe einerseits die in der Prozessliteratur gemeinhin als Ausschlussgründe bezeichneten (darunter fallen hier lit. b - e), andererseits die sog. Ablehnungsgründe (darunter fallen hier die lit. a und f) zusammen. Der Unterschied besteht darin, dass die Ausschlussgründe die betroffene Justizperson generell von der Ausübung ihres Amtes in einem bestimmten Fall ausschliessen. Der betroffene Beamte hat von sich aus in den Ausstand zu treten, auch wenn kein entsprechendes Begehren einer Partei gestellt wird. Bei den Ablehnungsgründen hingegen hat sich der betroffene Beamte lediglich dann in den Ausstand zu begeben, wenn er von einer Partei erfolgreich abgelehnt wurde (s. Botschaft, BBl 2006, S. 1148 und BGE 126 III 249). Die Ausschlussgründe sind objektiver Natur und liegen in der (äusseren) Stellung des betroffenen Beamten begründet (Vorbefassung oder eheliche, eheähnliche oder verwandtschaftliche Beziehung zu den Prozessparteien). Demgegenüber beschlagen die Ablehnungsgründe die sog. "innere Unabhängigkeit" des betroffenen Beamten und sind relativer Natur.

Das Recht, einen Justizbeamten abzulehnen oder auszuschliessen ist eine Folge des verfassungsmässigen Anspruchs auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter(Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 1 BV).

Lit.a: Abgesehen von den in Lit. c - e genannten Fällen, bei denen eine besondere Beziehung zwischen dem Justizbeamten und einer Prozesspartei besteht, kann man sich im Strafverfahren nur schwer eine Konstellation vorstellen, wo ein Mitglied einer Strafbehörde in der Sache ein persönliches Interesse hat. Dies wäre in den in der Praxis wohl kaum je vorkommenden Konstellationen der Fall, in denen ein Richter oder Staatsanwalt selbst in die zu beurteilende Straftat verwickelt ist (sei es als Teilnehmer oder Geschädigter). So kann etwa aus dem Umstand, dass eine Richterin in einem Schändungsprozess sich für feministische Anliegen engagiert, keine Befangenheit abgeleitet werden (BGE 118 Ia 282).

Lit. b normiert den Ausstandsgrund der Vorbefassung. Ein Justizbeamter kann dann befangen sein, wenn er in der gleichen Sache in anderer Stellung bereits tätig war. Die verschiedenen Funktionen, welche in lit. b erwähnt werden, sind lediglich exemplarisch und nicht abschliessend. Zu diesem Ausstandsgrund existiert eine reichhaltige und auch kasuistische Rechtsprechung. Demgemäss besteht etwa in folgenden Fällen eine unzulässige Vorbefassung:

- Richter war in derselben Sache vorher als Staatsanwalt tätig und nahm Untersuchungshandlungen vor (Schmid, Strafprozessrecht, 4. A., S. 44 f, Rz. 134 mit weiteren Beispielen)

- urteilender Sachrichter hat vorher über die Anklagezulassung entschieden (BGE 114 Ia 50)

- unzulässig ist generell die Personalunion von urteilendem und untersuchendem Richter (BGE 113 Ia 72 )

- Unvereinbarkeit der Funktion als Haftrichter mit der Funktion als Ankläger (Entscheid des EuGMR v. 23.10.1990, Jutta Huber gegen die Schweiz)

Keine generell unzulässige Vorbefassung liegt bei folgenden Konstellationen vor:

- Sachrichter, der in der gleichen Sache bereits als Haftrichter amtete (BGE 117 Ia 182)

- Revisionsrichter, der in der gleichen Sache bereits früher in der Sache entschied (BGE 113 Ia 62)

- Sachrichter, der nach Rückweisung durch die Rechtsmittelinstanz erneut urteilt (113 Ia 407)

- ebenfalls keine unzulässige Vorbefasstheit des Richters, der bereits früher bezüglich desselben Sachverhaltes ein Urteil gegen Mittäter fällte (BGE 115 Ia 34)

- der Referent, der vor der Hauptverhandlung einen schriftlichen Urteilsantrag ausarbeitete ist nicht vorbefasst (ZR 86 Nr. 87)

- auch nicht der Präsident eines Kollegialgerichtes, der nach einer ersten summarischen Sichtung dem betroffenen Beschwerdeführer den Rückzug des Rechtsmittels empfahl (SOG 2000 Nr. 31)

Lit. f: Nach konstanter Rechtsprechung braucht ein Richter oder sonstiger Justizbeamter, damit er wegen Befangenheit abgelehnt werden kann, nicht tatsächlich befangen zu sein. Es genügt, dass Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit objektiv zu rechtfertigen vermögen (BGE 115 Ia 180). Nicht ausreichend ist das lediglich subjektive Empfinden einer Partei, der Beamte sei befangen. So ist bspw. einem Richter nicht verboten, sich in seiner Freizeit politisch zu betätigen und sich zu politischen Fragen engagiert zu äussern. Ein Richter ist jedoch dann befangen, wenn er sich im Vorfeld eines Prozesses zu einem konkreten Ereignis und deren Beurteilung äusserte, das er nachher zu beurteilen hatte (BGE 108 Ia 48).

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