Sonntag, Januar 13, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 61 - 65

7. Kapitel: Zuständigkeit

Art. 61 Zuständigkeit
Das Verfahren leitet:
a. bis zur Einstellung oder Anklageerhebung: die Staatsanwaltschaft;
b. im Übertretungsstrafverfahren: die Übertretungsstrafbehörde;
c. im Gerichtsverfahren bei Kollegialgerichten: die Präsidentin oder der Präsident des betreffenden Gerichts;
d. im Gerichtsverfahren bei Einzelgerichten: die Richterin oder der Richter.

Art. 62 Allgemeine Aufgaben
1 Die Verfahrensleitung trifft die Anordnungen, die eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens gewährleisten.
2 Im Verfahren vor einem Kollegialgericht kommen ihr alle Befugnisse zu, die nicht dem Gericht vorbehalten sind.

Art. 63 Sitzungspolizeiliche Massnahmen
1 Die Verfahrensleitung sorgt für Sicherheit, Ruhe und Ordnung während der Verhandlungen.
2 Sie kann Personen, die den Geschäftsgang stören oder Anstandsregeln verletzen, verwarnen. Im Wiederholungsfalle kann sie ihnen das Wort entziehen, sie aus dem Verhandlungsraum weisen und nötigenfalls bis zum Schluss der Verhandlung in
polizeilichen Gewahrsam setzen lassen. Sie kann den Verhandlungsraum räumen lassen.
3 Sie kann die Unterstützung der am Orte der Verfahrenshandlung zuständigen Polizei verlangen.
4 Wird eine Partei ausgeschlossen, so wird die Verfahrenshandlung gleichwohl fortgesetzt.

Art. 64 Disziplinarmassnahmen
1 Die Verfahrensleitung kann Personen, die den Geschäftsgang stören, den Anstand verletzen oder verfahrensleitende Anordnungen missachten, mit Ordnungsbusse bis
zu 1000 Franken bestrafen.
2 Ordnungsbussen der Staatsanwaltschaft und der erstinstanzlichen Gerichte können innert 10 Tagen bei der Beschwerdeinstanz angefochten werden. Diese entscheidet
endgültig.

Art. 65 Anfechtbarkeit verfahrensleitender Anordnungen der Gerichte
1 Verfahrensleitende Anordnungen der Gerichte können nur mit dem Endentscheid angefochten werden.
2 Hat die Verfahrensleitung eines Kollegialgerichts vor der Hauptverhandlung verfahrensleitende Anordnungen getroffen, so kann sie das Gericht von Amtes wegen oder auf Antrag ändern oder aufheben.


Das 7. Kapitel regelt unter dem Titel Zuständigkeit die für die Verfahrensleitung zuständigen Straforgane und deren Befugnisse.

Art. 61:

lit. a: Bis zur Anklageerhebung leitet die Staatsanwaltschaft das Verfahren. Das unter der Leitung der Staatsanwaltschaft stehende sog. Vorverfahren besteht aus dem polizeilichen Ermittlungsverfahren (Art. 306 ff) und dem eigentlichen Untersuchungsverfahren (Art. 308 ff). Das Untersuchungsverfahren beginnt mit der Eröffnungsverfügung der Staatsanwaltschaft (Art. 309 Abs. 3). Art. 61 lit. a bestätigt den Grundsatz (der in vielen Bereichen nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Tätigkeit der Kriminalpolizei haben wird) dass der Staatsanwaltschaft auch die Verfahrensleitung über das polizeiliche Ermittlungsverfahren zukommt. Art. 307 regelt die Schnittstellen der polizeilichen Ermittlungstätigkeit und der staatsanwaltlichen Verfahrensführung.

lit. c: Im Gerichtsverfahren bei Kollegialgerichten kommt dem Präsidenten die Verfahrensleitung zu. Abgesehen von der eigentlichen Sitzungsleitung anlässlich der Hauptverhandlung ist der Gerichtspräsident zuständig für die Vorbereitung der Hauptverhandlung. Die diesbezüglichen Aufgaben und Befugnisse des Gerichtspräsidenten gehen primär aus den Art. 329 ff hervor. Hiezu gehört gemäss Art. 332 die Befugnis, Vorverhandlungen zur Regelung organisatorischer Fragen oder Vergleichsverhandlungen zu führen. Gemäss Art. 332 Abs. 3 kann der Präsident auch vorgängige Beweiserhebungen durchführen (wenn die Beweiserhebung an der Hauptverhandlung voraussichtlich nicht möglich sein wird: bspw. die Vernehmung eines im Sterben liegenden Zeugen oder der Augenschein bei einem akut einsturzgefährdeten Gebäude). Er kann damit auch eine Delegation des Gerichts oder in dringenden Fällen den Staatsanwalt betrauen.

Art. 62:
Gemäss Abs. 2 kommen dem Gerichtspräsidenten sämtliche Befugnisse zu, die nicht dem Kollegialgericht vorbehalten sind. Die CHStPO nennt diese, ausschliesslich dem Kollegialgericht vorbehaltenen, Entscheide nirgends explizit. Klarerweise dürfte es sich hiebei hauptsächlich um die verfahrensabschliessenden Entscheide (Schuldspruch, Freispruch, Einstellung) handeln. Gemäss Art. 339 hat das Kollegialgericht nach Beginn der Hauptverhandlung auch sämtliche erforderlichen Vor- und Zwischenentscheide zu treffen. Diese können jedoch auch vom Präsidenten getroffen werden, insofern sie zeitlich vor Beginn der Hauptverhandlung zu erlassen sind und das Verfahren nicht abschliessen.

Art. 63:
Im Rahmen der sog. sitzungspolizeilichen Massnahmen kann die Verfahrensleitung einer Partei, auch dem Beschuldigten, das Wort entziehen oder diese von der Verhandlung ausschliessen (Abs. 2). Die Verhandlung wird dann ohne die ausgeschlossene Partei weitergeführt (Abs. 4). Hiedurch kann sich eine Einschränkung des Anspruchs auf das rechtliche Gehör der Parteien ergeben (Art. 107 und 108). Dabei ist der Aspekt der Verhältnismässigkeit zu wahren. Der Ausschluss des Beschuldigten von der Hauptverhandlung sollte daher nur mit äusserster Zurückhaltung angeordnet werden. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist in diesem Falle durch entsprechende Ersatzmassnahmen Rechnung zu tragen.

Art. 64:
Art. 64 sieht als mögliche Disziplinarmassnahmen lediglich noch Ordnungsbussen vor (nicht wie bisher einige kantonale Prozessordnungen noch Freiheitsstrafen).

Art. 65:
Verfahrensleitende Anordnungen des Gerichtspräsidenten können vom Kollegialgericht anlässlich der Hauptverhandlung auf Antrag oder von Amtes wegen abgeändert werden (Abs. 2). Verfahrensleitende Anordnungen des Kollegialgerichtes (Vor- oder Zwischenentscheide) sind lediglich mit dem Endurteil anfechtbar (Abs. 1, vgl. auch Art. 393 Abs. 1 lit. b). Dasselbe gilt natürlich auch für verfahrensleitende Entscheide des Gerichtspräsidenten, die anlässlich der Hauptverhandlung nicht in Wiedererwägung gezogen werden. Demgegenüber können verfahrensleitende Entscheide der Staatsanwaltschaft und der Übertretungsstrafbehörden mittels Beschwerde angefochten werden (Art. 393 Abs. 1 lit. a).

kostenloser Counter