Sonntag, Januar 29, 2006

Begründetes Urteil des BGH im Mannesmann-Prozess liegt vor

Mit Urteil vom 21.12.2005 hat der Deutsche Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Landgerichtes Düsseldorf vom 22.7.2004, in welchem Josef Ackermann und weitere Mannesmann-Manager vom Vorwurf der Untreue freigesprochen wurden, aufgehoben. Nun liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor (hier abrufbar).

Im Wesentlichen hat der BGH festgestellt, die vom Mannesmann-Präsidium angeordneten Sonderprämien für ausscheidende Manager erfüllten den objektiven Tatbestand der Untreue. Einerseits habe keine vertragliche Verpflichtung zur Ausrichtung von solchen, die üblichen dienstvertraglichen Prämien übersteigenden, Sonderprämien bestanden. Andererseits seien diese auch nicht mehr im Interesse der Firma gewesen, da die zu honorierenden Leistungen bereits erbracht wurden und zum Zeitpunkt der Entrichtung der Begünstigungen bereits klar war, dass die Begünstigten die Firma verlassen werden. Die Sonderprämien erfolgten somit nicht zur Motivation für künftige Sonderleistungen. Die am Beschluss beteiligten Präsidiumsmitglieder hätten somit klar ihren Ermessensspielraum für die Verwaltung des ihnen fremden Vermögens überschritten. An der Erfüllung des objektiven Tatbestandes der Untreue vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass der künftige Hauptaktionär, die Vodafone, den Sonderprämien zugestimmt habe, sei doch die Vodafone in diesem Zeitraum nicht einziger Aktionär gewesen.

Schliesslich verwarf der BGH auch die Ansicht der Vorinstanz, zur Erfüllung des Tatbestandes der Untreue bedürfe es einer gravierenden Pflichtverletzung.

Das Landgericht Düsseldorf wird sich nun eingehend mit dem subjektiven Tatbestand zu befassen haben, wobei nach den Feststellungen des BGH kaum davon ausgegangen werden kann, die verantwortlichen Manager seien sich nicht bewusst gewesen, dass sie mit ihren Beschlüssen ihre Vermögensverwaltungspflichten verletzen würden. So dürfte wohl alles andere als eine Verurteilung von Josef Ackermann und den weiteren Beschuldigten im neu durchzuführenden Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf eine Überraschung darstellen.

Montag, Januar 23, 2006

Bundesgericht unnachsichtig gegenüber Verkehrsrowdies

In zwei heute veröffentlichten Entscheiden zeigte das Bundesgericht wieder einmal in aller Deutlichkeit, was es von Verkehrsrowdies hält: nichts !

Im Entscheid 6S.164/2005 stützte das Bundesgericht eine im Strassenverkehr selten vorkommende Verurteilung wegen Gefährdung des Lebens.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

"A fuhr am 23. Februar 2003, um 04.15 Uhr, mit seinem Personenwagen auf der Autobahn A51 in Richtung Zürich. Er wies eine Blutalkoholkonzentration von minimal 0,96 Promille auf. Auf seiner Fahrt überschritt er die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um mindestens 65 km/h. Nachdem er nacheinander zwei Personenwagen links mit 185 km/h und zu geringem seitlichem Abstand überholt hatte, lenkte er sein Fahrzeug unmittelbar vor dem vordersten Fahrzeug auf die Normalspur. Der Abstand zum überholten Fahrzeug betrug beim Fahrspurwechsel ein bis zwei Meter. Dabei verlor A die Herrschaft über seinen Personenwagen. Dieser hob von der Strasse ab, flog bis zum Aufprall auf den Boden 46,5 m durch die Luft,überschlug sich mehrmals und kam auf der angrenzenden Wiese zum Stillstand."

Das Bundesgericht fand auch, die von der Vorinstanz ausgesprochene Strafe von 22 Monaten Gefängnis sei angesichts des nicht unbelasteten automobilistischen Leumunds des Beschuldigten vertretbar.

Als für den verurteilten Automobilisten wohl eher weniger interessant, aber für die Rechtspraxis nicht ganz unbedeutend erweist sich in diesem Fall die Ansicht des Bundesgerichtes, dass eine Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe zu einer Busse (in analoger Anwendung von Art. 68 Ziff. 2 StGB) nicht zulässig sei.

Im zweiten Entscheid 6S.265/2005 ging es um folgenden Sachverhalt:
"Am 1. Juli 2004 fuhr A in seinem Personenwagen mit mässiger Geschwindigkeit auf dem rechten Fahrstreifen der Speichergasse in Bern. Auf dem linken Fahrstreifen stand ein Polizeifahrzeug vor einem Fussgängerstreifen. Erst als A auf Höhe des Polizeifahrzeuges war,bemerkte er, dass dieses angehalten hatte, um eine von links kommende Fussgängerin passieren zu lassen. Die Fussgängerin verlangsamte ihren Gang, als sie das Fahrzeug von A kommen sah. Obwohl er noch hätte bremsen können, entschied sich A seine Fahrt fortzusetzen. Er tat dies nach eigenem Bekunden, um die Fussgängerin nicht weiter zu behindern und "damit der Fussgängerstreifen für die Passantin frei werde".

Anders als die Vorinstanz beurteilte das Bundesgericht auf Beschwerde des Berner Generalprokurators das Vorgehen des Beschuldigten als grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG. Die Vorinstanz glaubte dem Beschuldigten, dass er davon ausgegangen sei, das Polizeifahrzeug habe aus dienstlichem Anlass vor dem Fussgängerstreifen gehalten. Selbst wenn dem so gewesen wäre, urteilte jetzt das Bundesgericht, hätte der Automobilist, dem die Sicht auf die Fussgängerin durch das Polizeifahrzeug verdeckt gewesen war, mit dem Herannahen eines Fussgängers rechnen und seine Fahrt entsprechend verlangsamen müssen.

Zu diesen Fällen 2 Bemerkungen:

1. Wäre dem Automobilisten im letzten Fall die Sicht nicht durch ein Polizeifahrzeug sondern durch ein Privatfahrzeug versperrt gewesen, hätten sich wohl weder Bundesgericht, noch Generalprokurator, Obergericht oder Kreisgerichtspräsident mit diesem Fall befassen müssen.

2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts ist zu begrüssen, zeigt sie doch jedem Automolisten wieder einmal in aller Klarheit auf, was passieren kann, auch ohne dass etwas passiert.

Dienstag, Januar 17, 2006

Befragung von Belastungszeugen im Lichte von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK

Das im untenstehenden Beitrag vom 10.1.2006 erwähnte Urteil des Kassationsgerichtes des Kantons Zürich zu Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK möchte Labeo zum Anlass nehmen, sich mit dieser Frage nochmals etwas genauer zu befassen.

In einem publizierten Entscheid vom 12.10.2005 (131 I 476) hat das Bundesgericht einmal mehr daran festgehalten, dass die Aussage eines Belastungszeugen nicht verwertbar ist, wenn dem Beschuldigten nicht die Möglichkeit gegeben werde, Ergänzungsfragen zu stellen. Es ging um den Fall eines geistig behinderten Opferzeugen, der durch eine ärztliche Fachperson einvernommen werden musste. Bei der ersten Befragung war dem Beschuldigten, diesem wurden sexuelle Handlungen mit Abhängigen vorgeworfen, keine Gelegenheit gegeben worden, dem Zeugen Fragen stellen zu lassen. Im Rahmen des Apellationsverfahrens vor Obergericht ordnete dieses eine erneute Einvernahme des Zeugen an, wobei dem Beschuldigten die Gelegenheit eingeräumt wurde, Fragen an den Zeugen stellen zu lassen. Anlässlich dieser zweiten Befragung war der Zeuge jedoch nicht mehr bereit, Fragen zu beantworten. Das Bundesgericht stellte sich einmal mehr auf den Standpunkt, damit sei auch die erste Vernehmung, welche ein ausschlaggebendes Beweismittel darstellte, nicht verwertbar, da es die Untersuchungsbehörden zu verantworten hätten, dass die erste Einvernahme nicht EMRK-konform erfolgte.

In einem ebenfalls
publizierten Entscheid vom 6.11.2002 (129 I 151) befasste sich das Bundesgericht ebenfalls mit der Problematik der Befragung von Opferzeugen unter Berücksichtigung der Zeugenschutzbestimmungen des OHG. Das Bundesgericht erachtete es grundsätzlich als möglich, die Teilnahmerechte des Beschuldigten auch nur in Form von Einsichtnahme ins Befragungsprotokoll und schriftlicher Formulierung von Ergänzungsfragen zu gewähren.

Schliesslich befasste sich das Bundesgericht ausführlich im Entscheid vom 2.12.1998 (125 I 127) mit der Problematik der Befragung anonymer Belastungszeugen. In diesem Entscheid scheint das Bundesgericht doch nicht ganz so weit zu gehen, wie das Kassationsgericht Zürich im Entscheid vom 19.12.2005.

Dienstag, Januar 10, 2006

Zeugenschutz oder Verteidigungsrechte ?

In einem weitherum Aufsehen erregenden Entscheid vom 19.12.2005 hatte sich das Zürcher Kassationsgericht mit der Frage zu befassen, wie weit der Zeugenschutz im Strafprozess gehen darf, ohne die Verteidigungsrechte in verfassungswidriger Weise zu verletzen.

Das Gericht hatte den Fall eines vom Zürcher Geschworenengericht zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilten Angeklagten zu beurteilen, dem vorgeworfen wird, am 15. Oktober 2001 in Zürich-Schwammendingen den ihm bekannten B. durch einen Genickschuss aus einer Faustfeuerwaffe aus nächster Nähe getötet zu haben. Die Verurteilung erfolgte hauptsächlich aufgrund der Aussage eines anonymen Zeugen, der die Tat beobachtete.

Die Identität dieses Zeugen war nur dem polizeilichen Sachbearbeiter, dem Bezirksanwalt und dem Präsidenten des Geschworenengerichtes bekannt. Sowohl der Beschuldigte wie auch sein Verteidiger konnten die Aussagen des Zeugen jeweils nur in einem Nebenraum mittels Übertragung dessen akkustisch verzerrten Stimme wahrnehmen. Dazu kam, dass der Zeuge einen beträchtlichen Teil der vom Verteidiger gestellten Fragen nicht beantwortete. Fragen, welche Rückschlüsse auf seine Identität zugelassen hätten, wurden jeweils gar nicht zugelassen. Diese Massnahme wurde angeordnet, da der Zeuge glaubhaft dartun konnte, die Offenlegung seiner Identität würde ihn einer grossen Gefahr aussetzen, da er diesfalls einen Racheakt aus dem Umfeld des Täters zu befürchten hätte.

Das Kassationsgericht hat nun die vom Angeklagten erhobene Kassationsbeschwerde gutgeheissen und das Urteil des Geschworenengerichts aufgehoben. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kam das Kassationsgericht zum Schluss, dass zumindest dem Verteidiger des Angeklagten hätte ermöglicht werden müssen, der Einvernahme des Belastungszeugen unmittelbar und ohne Verdeckung dessen Identität beizuwohnen. Indem dies dem Verteidiger verwehrt wurde, wurden die Verteidigungsrechte des Angeklagten in einem Art. 6 Ziff. 3 lit. d und Art. 6 Ziff. 1 (faires Verfahren) der EMRK verletzenden Ausmass beschnitten. Massgebend in dieser Frage sind insbesondere 2 Entscheide des EGMR:
Doorson v. Niederlande und Van Mechelen v. Niederlande

Das Kassationsgreicht äusserte sich auch zur Frage, welches Gewicht die Aussage eines anonymen Zeugen in einem Strafverfahren haben darf. Das Gericht setzte sich kritisch mit der diesbezüglich strengen Linie des EGMR auseinander. Gemäss dem Strassburger Gericht darf die Aussage eines anonymen Zeugen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie "in keiner Hinsicht als entscheidend" für die Verurteilung angesehen werden müsse. Dieser strenge Ansatz des EGMR sei widersprüchlich, so das Kassationsgericht. Wenn die Aussage eines Zeugen in keiner Hinsicht entscheidend sei, so brauche es diesen Zeugen auch nicht und demzufolge bräuchte es auch gar keinen Zeugenschutz.

Gemäss Kassationsgericht sei vielmehr davon auszugehen, dass "Aussagen anonymer Zeugen zwar weiterhin nicht als ausschliessliches oder schwergewichtiges Beweismittel für die Begründung eines Schuldspruchs, aber doch insoweit herangezogen werden dürfen, als sie gewissermassen als Mosaiksteinchen ein bereits anderweitig gewonnenes Beweisergebnis, welches allein betrachtet einen schweren Tatverdacht begründet, ins Stadium des rechtsgenüglichen Beweises zu überführen vermögen".

Vorliegend habe aber der Stellenwert der Aussage des anonymen Zeugen diese Schwelle an Erheblichkeit deutlich überschritten.

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