Dienstag, Januar 17, 2006

Befragung von Belastungszeugen im Lichte von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK

Das im untenstehenden Beitrag vom 10.1.2006 erwähnte Urteil des Kassationsgerichtes des Kantons Zürich zu Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK möchte Labeo zum Anlass nehmen, sich mit dieser Frage nochmals etwas genauer zu befassen.

In einem publizierten Entscheid vom 12.10.2005 (131 I 476) hat das Bundesgericht einmal mehr daran festgehalten, dass die Aussage eines Belastungszeugen nicht verwertbar ist, wenn dem Beschuldigten nicht die Möglichkeit gegeben werde, Ergänzungsfragen zu stellen. Es ging um den Fall eines geistig behinderten Opferzeugen, der durch eine ärztliche Fachperson einvernommen werden musste. Bei der ersten Befragung war dem Beschuldigten, diesem wurden sexuelle Handlungen mit Abhängigen vorgeworfen, keine Gelegenheit gegeben worden, dem Zeugen Fragen stellen zu lassen. Im Rahmen des Apellationsverfahrens vor Obergericht ordnete dieses eine erneute Einvernahme des Zeugen an, wobei dem Beschuldigten die Gelegenheit eingeräumt wurde, Fragen an den Zeugen stellen zu lassen. Anlässlich dieser zweiten Befragung war der Zeuge jedoch nicht mehr bereit, Fragen zu beantworten. Das Bundesgericht stellte sich einmal mehr auf den Standpunkt, damit sei auch die erste Vernehmung, welche ein ausschlaggebendes Beweismittel darstellte, nicht verwertbar, da es die Untersuchungsbehörden zu verantworten hätten, dass die erste Einvernahme nicht EMRK-konform erfolgte.

In einem ebenfalls
publizierten Entscheid vom 6.11.2002 (129 I 151) befasste sich das Bundesgericht ebenfalls mit der Problematik der Befragung von Opferzeugen unter Berücksichtigung der Zeugenschutzbestimmungen des OHG. Das Bundesgericht erachtete es grundsätzlich als möglich, die Teilnahmerechte des Beschuldigten auch nur in Form von Einsichtnahme ins Befragungsprotokoll und schriftlicher Formulierung von Ergänzungsfragen zu gewähren.

Schliesslich befasste sich das Bundesgericht ausführlich im Entscheid vom 2.12.1998 (125 I 127) mit der Problematik der Befragung anonymer Belastungszeugen. In diesem Entscheid scheint das Bundesgericht doch nicht ganz so weit zu gehen, wie das Kassationsgericht Zürich im Entscheid vom 19.12.2005.

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