Bundesgericht setzt Meilenstein zur Professionalisierung der Rechtspflege
Über ein für die Zukunft der Rechtspflege wohl wegweisendes Bundesgerichtsurteil (http://wwwsrv.bger.ch/cgi-bin/AZA/JumpCGI?id=30.08.2005_4P.130/2005) berichtete unlängst die NZZ in ihrer Ausgabe vom 16.12.2005.
Dem Entscheid 4P.130/2005 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: In einem vor Bezirksgericht Uster anhängigen Zivilprozess schlossen der Kläger (welcher für den Beklagten als Kellner tätig war) und der Beklagte einen Vergleich ab, in welchem festgehalten wurde, der Kläger ziehe seine Klage zurück. Im besagten Vergleich wurde kein Widerrufsvorbehalt vermerkt.
Abgeschlossen wurde der Vergleich im Rahmen der Hauptverhandlung, an welcher der Beklagte durch seinen Anwalt vertreten wurde, während der Kläger ohne Rechtsbeistand erschien. Nach vorgebrachter mündlicher Klagebegründung und Klageantwort wurde dem Kläger vom Richter Gelegenheit zu einer Replik erteilt. Da der Kläger nach Ansicht des Richters offensichtlich nicht in der Lage war, eine Replik zu formulieren, forderte dieser ihn in Anwendung von § 29 Abs. 2 ZPO (ZH) auf, sich um einen Anwalt zu bemühen. Dazu kam es jedoch nicht, da der Richter trotz festgestellter Postulationsunfähigkeit des Klägers umgehend eine Vergleichsverhandlung durchführte, die schliesslich im erwähnten Vergleich ihren Abschluss fand.
Nach Abschluss der Hauptverhandlung suchte der Kläger noch gleichentags einen Rechtsanwalt auf, der für seinen Mandanten postwendend beim Bezirksgericht Uster schriftlich den Widerruf des Vergleichs zufolge Willensmängel erklärte. Der zuständige Richter nahm diesen Widerruf als Rekurs entgegen und sandte die Akten dem Obergericht zu, welches den Rekurs abwies. Eine gegen diesen Entscheid vom Kläger angehobene Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich ebenfalls ab. Hierauf gelangte der Kläger mit staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht.
In seiner staatsrechtlichen Beschwerde rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV (Anspruch auf ein faires Verfahren), Art. 29 Abs. 2 BV (rechtliches Gehör) sowie Art. 9 BV (Willkürverbot). Demgegenüber stellten sich die Vorinstanzen auf den Standpunkt, der Beschwerdeführer sei im Sinne von § 27 ZPO prozessfähig (was im Übrigen unbestritten war) und deshalb sei die fehlende Postulationsfähigkeit im Sinne von § 29 Abs. 2 ZPO kein Hinderungsgrund für einen gültigen Abschluss eines Vergleichs gewesen.
Zu einem anderen Schluss kam das Bundesgericht, welches die staatsrechtliche Beschwerde guthiess. Das Bundesgericht argumentierte, es sei willkürlich, wenn der Richter die Postulationsfähigkeit des Klägers verneine und dennoch Vergleichsverhandlungen führe, ohne dass dieser effektiv Gelegenheit hatte, sich von einem Anwalt beraten zu lassen. Wer nicht in der Lage sei, seinen Rechtsstandpunkt vor Gericht genügend zu vertreten, könne auch die Tragweite eines Vergleichs nicht voll erfassen. Wenn schon ein Vergleich abgeschlossen werde, so müsse dieser zumindest mit einem Widerrufsvorbehalt versehen werden. Anderenfalls werde das Recht des nicht vertretenen Klägers auf ein faires Verfahren verletzt (umsomehr, wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist).
Auch wenn dieser Entscheid des Bundesgerichts primär die Anwaltschaft freuen wird, so ist er im Ergebnis zu begrüssen. Nur wenn beide Parteien vor Gericht mit gleich langen Spiessen auftreten, ist der Anspruch auf einen unparteiischen Richter effektiv gewährleistet. Andernfalls wird nämlich der Richter notgedrungen in die Rolle des Gehilfen der rechtsunkundigen Partei gedrängt (so sehen doch die meisten Zivilprozessordnungen eine richterliche Fragepflicht oder gar eine richterliche Fürsorgepflicht vor). Es kann jedoch nicht Aufgabe des Richters sein, der rechtsunkundigen Partei zu sekundieren. Andererseits entspricht der Rechtsgrundsatz "Da mihi factum, dabo tibi ius" nicht mehr der heutigen Rechtswirklichkeit vor den Gerichten. Insbesondere im von der Verhandlungsmaxime und der Dispositionsmaxime geprägten Zivilprozess, aber (wenn auch nicht so ausgeprägt) auch im Strafprozess, ist es längst nicht mehr so, dass die Parteien nur den Sachverhalt zu präsentieren haben. Sie haben auch danach zu streben, das Gericht von ihrer Rechtsauffassung zu überzeugen.
Wenn man das Ziel einer gerechten und unparteiischen Rechtsprechung verfolgt, ist es unabdingbar, dass die einander vor Gericht gegenübertretenden Parteien in gleicher Weise befähigt sind, ihren Standpunkt darzulegen. So gesehen dürfte das erwähnte Urteil des Bundesgerichts für die Zukunft der Rechtspflege, nicht nur im Zivilprozess, durchaus wegweisend sein und zu einer Professionalisierung der Rechtspflege, und somit letztendlich zu einer gerecht(er)en Rechtsprechung führen. Diese Rechtsprechung, mit Vernunft und Sensibilität für den Grundsatz des "fair trial" angewandt, muss indes keineswegs der erste Schritt zur Einführung des Anwaltszwangs darstellen.
Dem Entscheid 4P.130/2005 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: In einem vor Bezirksgericht Uster anhängigen Zivilprozess schlossen der Kläger (welcher für den Beklagten als Kellner tätig war) und der Beklagte einen Vergleich ab, in welchem festgehalten wurde, der Kläger ziehe seine Klage zurück. Im besagten Vergleich wurde kein Widerrufsvorbehalt vermerkt.
Abgeschlossen wurde der Vergleich im Rahmen der Hauptverhandlung, an welcher der Beklagte durch seinen Anwalt vertreten wurde, während der Kläger ohne Rechtsbeistand erschien. Nach vorgebrachter mündlicher Klagebegründung und Klageantwort wurde dem Kläger vom Richter Gelegenheit zu einer Replik erteilt. Da der Kläger nach Ansicht des Richters offensichtlich nicht in der Lage war, eine Replik zu formulieren, forderte dieser ihn in Anwendung von § 29 Abs. 2 ZPO (ZH) auf, sich um einen Anwalt zu bemühen. Dazu kam es jedoch nicht, da der Richter trotz festgestellter Postulationsunfähigkeit des Klägers umgehend eine Vergleichsverhandlung durchführte, die schliesslich im erwähnten Vergleich ihren Abschluss fand.
Nach Abschluss der Hauptverhandlung suchte der Kläger noch gleichentags einen Rechtsanwalt auf, der für seinen Mandanten postwendend beim Bezirksgericht Uster schriftlich den Widerruf des Vergleichs zufolge Willensmängel erklärte. Der zuständige Richter nahm diesen Widerruf als Rekurs entgegen und sandte die Akten dem Obergericht zu, welches den Rekurs abwies. Eine gegen diesen Entscheid vom Kläger angehobene Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich ebenfalls ab. Hierauf gelangte der Kläger mit staatsrechtlicher Beschwerde ans Bundesgericht.
In seiner staatsrechtlichen Beschwerde rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV (Anspruch auf ein faires Verfahren), Art. 29 Abs. 2 BV (rechtliches Gehör) sowie Art. 9 BV (Willkürverbot). Demgegenüber stellten sich die Vorinstanzen auf den Standpunkt, der Beschwerdeführer sei im Sinne von § 27 ZPO prozessfähig (was im Übrigen unbestritten war) und deshalb sei die fehlende Postulationsfähigkeit im Sinne von § 29 Abs. 2 ZPO kein Hinderungsgrund für einen gültigen Abschluss eines Vergleichs gewesen.
Zu einem anderen Schluss kam das Bundesgericht, welches die staatsrechtliche Beschwerde guthiess. Das Bundesgericht argumentierte, es sei willkürlich, wenn der Richter die Postulationsfähigkeit des Klägers verneine und dennoch Vergleichsverhandlungen führe, ohne dass dieser effektiv Gelegenheit hatte, sich von einem Anwalt beraten zu lassen. Wer nicht in der Lage sei, seinen Rechtsstandpunkt vor Gericht genügend zu vertreten, könne auch die Tragweite eines Vergleichs nicht voll erfassen. Wenn schon ein Vergleich abgeschlossen werde, so müsse dieser zumindest mit einem Widerrufsvorbehalt versehen werden. Anderenfalls werde das Recht des nicht vertretenen Klägers auf ein faires Verfahren verletzt (umsomehr, wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist).
Auch wenn dieser Entscheid des Bundesgerichts primär die Anwaltschaft freuen wird, so ist er im Ergebnis zu begrüssen. Nur wenn beide Parteien vor Gericht mit gleich langen Spiessen auftreten, ist der Anspruch auf einen unparteiischen Richter effektiv gewährleistet. Andernfalls wird nämlich der Richter notgedrungen in die Rolle des Gehilfen der rechtsunkundigen Partei gedrängt (so sehen doch die meisten Zivilprozessordnungen eine richterliche Fragepflicht oder gar eine richterliche Fürsorgepflicht vor). Es kann jedoch nicht Aufgabe des Richters sein, der rechtsunkundigen Partei zu sekundieren. Andererseits entspricht der Rechtsgrundsatz "Da mihi factum, dabo tibi ius" nicht mehr der heutigen Rechtswirklichkeit vor den Gerichten. Insbesondere im von der Verhandlungsmaxime und der Dispositionsmaxime geprägten Zivilprozess, aber (wenn auch nicht so ausgeprägt) auch im Strafprozess, ist es längst nicht mehr so, dass die Parteien nur den Sachverhalt zu präsentieren haben. Sie haben auch danach zu streben, das Gericht von ihrer Rechtsauffassung zu überzeugen.
Wenn man das Ziel einer gerechten und unparteiischen Rechtsprechung verfolgt, ist es unabdingbar, dass die einander vor Gericht gegenübertretenden Parteien in gleicher Weise befähigt sind, ihren Standpunkt darzulegen. So gesehen dürfte das erwähnte Urteil des Bundesgerichts für die Zukunft der Rechtspflege, nicht nur im Zivilprozess, durchaus wegweisend sein und zu einer Professionalisierung der Rechtspflege, und somit letztendlich zu einer gerecht(er)en Rechtsprechung führen. Diese Rechtsprechung, mit Vernunft und Sensibilität für den Grundsatz des "fair trial" angewandt, muss indes keineswegs der erste Schritt zur Einführung des Anwaltszwangs darstellen.
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