CHStPO: Kommentar zu Art. 100 - 103
9. Abschnitt: Aktenführung, Akteneinsicht und Aktenaufbewahrung
Art. 100 Aktenführung
1 Für jede Strafsache wird ein Aktendossier angelegt. Dieses enthält:
a. die Verfahrens- und die Einvernahmeprotokolle;
b. die von der Strafbehörde zusammengetragenen Akten;
c. die von den Parteien eingereichten Akten.
2 Die Verfahrensleitung sorgt für die systematische Ablage der Akten und für deren fortlaufende Erfassung in einem Verzeichnis; in einfachen Fällen kann sie von einem Verzeichnis absehen.
Art. 101 Akteneinsicht bei hängigem Verfahren
1 Die Parteien können spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten des Straf- verfahrens einsehen; Artikel 108 bleibt vorbehalten.
2 Andere Behörden können die Akten einsehen, wenn sie diese für die Bearbeitung hängiger Zivil-, Straf- oder Verwaltungsverfahren benötigen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.
3 Dritte können die Akten einsehen, wenn sie dafür ein wissenschaftliches oder ein anderes schützenswertes Interesse geltend machen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.
Art. 102 Vorgehen bei Begehren um Akteneinsicht
1 Die Verfahrensleitung entscheidet über die Akteneinsicht. Sie trifft die erforderlichen Massnahmen, um Missbräuche und Verzöge- rungen zu verhindern und berechtigte Geheimhaltungsinteressen zu schützen.
2 Die Akten sind am Sitz der betreffenden Strafbehörde oder rechtshilfeweise bei einer andern Strafbehörde einzusehen. Anderen Behörden sowie den Rechtsbeiständen der Parteien werden sie in der Regel zugestellt.
3 Wer zur Einsicht berechtigt ist, kann gegen Entrichtung einer Gebühr die Anfertigung von Kopien der Akten verlangen.
Art. 103 Aktenaufbewahrung
1 Die Akten sind mindestens bis zum Ablauf der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung aufzubewahren.
2 Ausgenommen sind Originaldokumente, die zu den Akten genommen wurden; sie sind den berechtigten Personen gegen Empfangsschein zurückzugeben, sobald die Strafsache rechtskräftig entschieden ist.
Art. 100:
Die Akten haben insbesondere die Protokolle über die durchgeführten Verfahrenshandlungen (Art. 76 Abs. 1) - inkl. die Protokolle und Berichte über die Ermittlungshandlungen der Polizei, die der Staatsanwaltschaft zu übermitteln sind (Art. 307 Abs. 3 und 4) - sowie die von der Staatsanwaltschft erhobenen und von den Parteien eingereichten Akten zu enthalten. Dies Akten haben vollständig zu sein. Die CHStPO sieht weder die Führung von sog. "Schattendossiers" noch etwa die Vernichtung oder Entfernung von Akten (die einmal zu den Verfahrensakten erhoben wurden) vor. Darüber, was zu den Akten genommen wird, entscheidet die Verfahrensleitung (und nicht etwa eine politische Behörde). Es muss daher auch als absolut unzulässig erachtet werden, wenn eine politische Behörde, etwa der Bundesrat, die Vernichtung von Akten, welche in einem Strafverfahren als Beweismittel zu den Verfahrensakten erhoben wurden, anordnen würde. Solcherlei Vorgehen würde wohl den Tatbestand der Unterdrückung von Urkunden resp. des Amtsmissbrauchs erfüllen. Gestützt auf die in Art. 4 statuierte Unabhängigkeit der Strafbehörden, wäre es auch unzulässig, wenn der Bundesrat etwa der Bundesanwaltschaft in einem konkreten Fall Weisungen erteilen würde, was zu den Akten erhoben werden darf und was nicht.
Art. 101:
Hervorzuheben ist Abs. 1, der die Akteneinsicht der Parteien, insb. des Beschuldigten, regelt. Das Akteneinsichtsrecht der Parteien ist Bestandteil des durch die Bundesverfassung (Art. 29 Abs. 2) garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Gemäss Abs. 1 können die Parteien spätestens nach der ersten Einvernahme des Beschuldigten und der Abnahme der übrigen wichtigsten Beweise in die Akten Einsicht nehmen. Das Recht des Beschuldigten, einem Belastungszeugen Fragen zu stellen, kann allerdings dafür sprechen, dem Beschuldigten bereits vor der Einvernahme des Belastungzeugen Einsicht in die Akten zu gewähren, da dieses nur in Kenntnis der Akten wahrgenommen werden kann. Es steht der Verfahrensleitung aber natürlich auch frei, eine erste Einvernahme des Belastungszeugen unter Ausschluss der Verteidigungsrechte durchzuführen und diesen dann in einer späteren Phase (nach gewährter Akteneinsicht) mit dem Beschuldigten zu konfrontieren. Im Haftverfahren gilt das Akteneinsichtsrecht unbeschränkt (Art. 225 Abs. 2; s. Botschaft, BBl. 2006, S. 1161 f.). Eine weitere Beschränkung der Akteneinsicht ist nur nach Art. 108 möglich. Es ist allerdings sehr fraglich, ob die Wahrung des Untersuchungszweckes unter die in Art. 108 Abs. 1 lit. b erwähnte Wahrung öffentlicher Geheimhaltungsinteressen fällt. Ich würde dies verneinen. Der Wahrung des Untersuchungszweckes wird die CHStPO dadurch gerecht, dass Art. 101 Abs. 1 den Ausschluss der Akteneinsicht bis nach Abschluss der ersten Einvernahme des Beschuldigten oder der Abnahme der wichtigsten Beweismittel ermöglicht. Ein weiterer Auschluss der Akteneinsicht zur Wahrung des Untersuchungszweckes unter Berufung auf Art. 108 wäre unzulässig. Letztere Bestimmung wäre allerdings dann heranzuziehen, wenn gewisse Akten die öffentliche Sicherheit gefährden könnten. In diesem Fall rechtfertigt sich eine Einschränkung der Akteneinsicht, nicht jedoch die Vernichtung von Akten. Daraus folgt, dass die Vernichtung von Akten auch nicht damit begründet werden kann, sie könnten in die falschen Hände geraten. Als mildere Massnahme wäre dann eben die Einschränkung der Akteneinsicht anzuordnen, wozu aber wie erwähnt nur die Verfahrensleitung befugt ist.
Gemäss Art. 102 entscheidet, wie bereits mehrfach erwähnt, die Verfahrensleitung über die Durchführung und allfällige Beschränkung der Akteneinsicht.
Gemäss Art. 103 sind die Akten grundsätzlich bis zum Ablauf der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung aufzubewahren. Wurden Dokumente von Dritten im Original zu den Akten genommen, so sind sie nach rechtskräftiger Erledigung des Strafverfahrens den Berechtigten herauszugeben (Abs. 2). Der Wortlaut von Abs. 2 würde es streng genommen ausschliessen, dass die Verfahrensleitung vor rechtskräftiger Erledigung der Strafsache Akten Dritter diesen zurückgibt (etwa wenn sie als nicht mehr relevant angesehen werden). In umfangreichen Strafverfahren macht es aber kaum Sinn, Akten, die sich als irrelevant erwiesen haben, bis zum Schluss des Strafverfahrens aufzubewahren. Eine Retournierung an den Berechtigten wäre aber im Verfahrensprotokoll transparent zu machen und zudem wäre sämtlichen Parteien das rechtliche Gehör zu gewähren.
Art. 100 Aktenführung
1 Für jede Strafsache wird ein Aktendossier angelegt. Dieses enthält:
a. die Verfahrens- und die Einvernahmeprotokolle;
b. die von der Strafbehörde zusammengetragenen Akten;
c. die von den Parteien eingereichten Akten.
2 Die Verfahrensleitung sorgt für die systematische Ablage der Akten und für deren fortlaufende Erfassung in einem Verzeichnis; in einfachen Fällen kann sie von einem Verzeichnis absehen.
Art. 101 Akteneinsicht bei hängigem Verfahren
1 Die Parteien können spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten des Straf- verfahrens einsehen; Artikel 108 bleibt vorbehalten.
2 Andere Behörden können die Akten einsehen, wenn sie diese für die Bearbeitung hängiger Zivil-, Straf- oder Verwaltungsverfahren benötigen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.
3 Dritte können die Akten einsehen, wenn sie dafür ein wissenschaftliches oder ein anderes schützenswertes Interesse geltend machen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.
Art. 102 Vorgehen bei Begehren um Akteneinsicht
1 Die Verfahrensleitung entscheidet über die Akteneinsicht. Sie trifft die erforderlichen Massnahmen, um Missbräuche und Verzöge- rungen zu verhindern und berechtigte Geheimhaltungsinteressen zu schützen.
2 Die Akten sind am Sitz der betreffenden Strafbehörde oder rechtshilfeweise bei einer andern Strafbehörde einzusehen. Anderen Behörden sowie den Rechtsbeiständen der Parteien werden sie in der Regel zugestellt.
3 Wer zur Einsicht berechtigt ist, kann gegen Entrichtung einer Gebühr die Anfertigung von Kopien der Akten verlangen.
Art. 103 Aktenaufbewahrung
1 Die Akten sind mindestens bis zum Ablauf der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung aufzubewahren.
2 Ausgenommen sind Originaldokumente, die zu den Akten genommen wurden; sie sind den berechtigten Personen gegen Empfangsschein zurückzugeben, sobald die Strafsache rechtskräftig entschieden ist.
Art. 100:
Die Akten haben insbesondere die Protokolle über die durchgeführten Verfahrenshandlungen (Art. 76 Abs. 1) - inkl. die Protokolle und Berichte über die Ermittlungshandlungen der Polizei, die der Staatsanwaltschaft zu übermitteln sind (Art. 307 Abs. 3 und 4) - sowie die von der Staatsanwaltschft erhobenen und von den Parteien eingereichten Akten zu enthalten. Dies Akten haben vollständig zu sein. Die CHStPO sieht weder die Führung von sog. "Schattendossiers" noch etwa die Vernichtung oder Entfernung von Akten (die einmal zu den Verfahrensakten erhoben wurden) vor. Darüber, was zu den Akten genommen wird, entscheidet die Verfahrensleitung (und nicht etwa eine politische Behörde). Es muss daher auch als absolut unzulässig erachtet werden, wenn eine politische Behörde, etwa der Bundesrat, die Vernichtung von Akten, welche in einem Strafverfahren als Beweismittel zu den Verfahrensakten erhoben wurden, anordnen würde. Solcherlei Vorgehen würde wohl den Tatbestand der Unterdrückung von Urkunden resp. des Amtsmissbrauchs erfüllen. Gestützt auf die in Art. 4 statuierte Unabhängigkeit der Strafbehörden, wäre es auch unzulässig, wenn der Bundesrat etwa der Bundesanwaltschaft in einem konkreten Fall Weisungen erteilen würde, was zu den Akten erhoben werden darf und was nicht.
Art. 101:
Hervorzuheben ist Abs. 1, der die Akteneinsicht der Parteien, insb. des Beschuldigten, regelt. Das Akteneinsichtsrecht der Parteien ist Bestandteil des durch die Bundesverfassung (Art. 29 Abs. 2) garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Gemäss Abs. 1 können die Parteien spätestens nach der ersten Einvernahme des Beschuldigten und der Abnahme der übrigen wichtigsten Beweise in die Akten Einsicht nehmen. Das Recht des Beschuldigten, einem Belastungszeugen Fragen zu stellen, kann allerdings dafür sprechen, dem Beschuldigten bereits vor der Einvernahme des Belastungzeugen Einsicht in die Akten zu gewähren, da dieses nur in Kenntnis der Akten wahrgenommen werden kann. Es steht der Verfahrensleitung aber natürlich auch frei, eine erste Einvernahme des Belastungszeugen unter Ausschluss der Verteidigungsrechte durchzuführen und diesen dann in einer späteren Phase (nach gewährter Akteneinsicht) mit dem Beschuldigten zu konfrontieren. Im Haftverfahren gilt das Akteneinsichtsrecht unbeschränkt (Art. 225 Abs. 2; s. Botschaft, BBl. 2006, S. 1161 f.). Eine weitere Beschränkung der Akteneinsicht ist nur nach Art. 108 möglich. Es ist allerdings sehr fraglich, ob die Wahrung des Untersuchungszweckes unter die in Art. 108 Abs. 1 lit. b erwähnte Wahrung öffentlicher Geheimhaltungsinteressen fällt. Ich würde dies verneinen. Der Wahrung des Untersuchungszweckes wird die CHStPO dadurch gerecht, dass Art. 101 Abs. 1 den Ausschluss der Akteneinsicht bis nach Abschluss der ersten Einvernahme des Beschuldigten oder der Abnahme der wichtigsten Beweismittel ermöglicht. Ein weiterer Auschluss der Akteneinsicht zur Wahrung des Untersuchungszweckes unter Berufung auf Art. 108 wäre unzulässig. Letztere Bestimmung wäre allerdings dann heranzuziehen, wenn gewisse Akten die öffentliche Sicherheit gefährden könnten. In diesem Fall rechtfertigt sich eine Einschränkung der Akteneinsicht, nicht jedoch die Vernichtung von Akten. Daraus folgt, dass die Vernichtung von Akten auch nicht damit begründet werden kann, sie könnten in die falschen Hände geraten. Als mildere Massnahme wäre dann eben die Einschränkung der Akteneinsicht anzuordnen, wozu aber wie erwähnt nur die Verfahrensleitung befugt ist.
Gemäss Art. 102 entscheidet, wie bereits mehrfach erwähnt, die Verfahrensleitung über die Durchführung und allfällige Beschränkung der Akteneinsicht.
Gemäss Art. 103 sind die Akten grundsätzlich bis zum Ablauf der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung aufzubewahren. Wurden Dokumente von Dritten im Original zu den Akten genommen, so sind sie nach rechtskräftiger Erledigung des Strafverfahrens den Berechtigten herauszugeben (Abs. 2). Der Wortlaut von Abs. 2 würde es streng genommen ausschliessen, dass die Verfahrensleitung vor rechtskräftiger Erledigung der Strafsache Akten Dritter diesen zurückgibt (etwa wenn sie als nicht mehr relevant angesehen werden). In umfangreichen Strafverfahren macht es aber kaum Sinn, Akten, die sich als irrelevant erwiesen haben, bis zum Schluss des Strafverfahrens aufzubewahren. Eine Retournierung an den Berechtigten wäre aber im Verfahrensprotokoll transparent zu machen und zudem wäre sämtlichen Parteien das rechtliche Gehör zu gewähren.