CHStPO: Kommentar zu Art.104 - 106
1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen
1. Abschnitt: Begriff und Stellung
Art. 104 Parteien
1 Parteien sind:
a. die beschuldigte Person;
b. die Privatklägerschaft;
c. im Haupt- und im Rechtsmittelverfahren: die Staatsanwaltschaft.
2 Bund und Kantone können weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen.
Art. 105 Andere Verfahrensbeteiligte
1 Andere Verfahrensbeteiligte sind:
a. die geschädigte Person;
b. die Person, die Anzeige erstattet;
c. die Zeugin oder der Zeuge;
d. die Auskunftsperson;
e. die oder der Sachverständige;
f. die oder der durch Verfahrenshandlungen beschwerte Dritte.
2 Werden in Absatz 1 genannte Verfahrensbeteiligte in ihren Rechten unmittelbar betroffen, so stehen ihnen die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu.
Art. 106 Prozessfähigkeit
1 Die Partei kann Verfahrenshandlungen nur gültig vornehmen, wenn sie handlungsfähig ist.
2 Eine handlungsunfähige Person wird durch ihre gesetzliche Vertretung vertreten.
3 Eine urteilsfähige handlungsunfähige Person kann neben ihrer gesetzlichen Vertretung jene Verfahrensrechte ausüben, die höchstpersönlicher Natur sind.
Die CHStPO unterscheidet, wie die heutigen kantonalen Strafprozessordnungen, zwischen den Parteien (Art. 104) und den anderen Verfahrensbeteiligten (Art. 105). Während den Parteien grundsätzlich sämtliche Verfahrensrechte uneingeschränkt zukommen,können die anderen Verfahrensbeteiligten diese nur soweit beanspruchen, als dies zur Wahrung ihrer durch die Straftat oder das Strafverfahren unmittelbar tangierten Interessen erforderlich ist. So kann bspw. der Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen und der von einer Hausdurchsuchung oder einer Beschlagnahme betroffene Dritte kann die Siegelung von Informationsträgern verlangen oder gegen die Zwangsmassnahme Beschwerde einreichen.
Parteistellung hat neben dem Beschuldigten und dem Staatsanwalt im Hauptverfahren lediglich die Privatklägerschaft. Privatkläger ist der Geschädigte, der ausdrücklich erklärt, sich im Strafverfahren als Straf- oder Zivilkläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1). Diese Position kommt dem Strafantragsteller automatisch zu (Art. 118 Abs. 2). Im Gegensatz zu einigen kantonalen Strafprozessordnungen sieht die CHStPO keine Einschränkung der Parteirechte des Privatklägers vor, für den Fall dass der Staatsanwalt vor Gericht die Anklage vertritt. Gemäss Art. 346 kann die Privatklägerschaft somit auch im Strafpunkt plädieren.
Art. 104 Abs. 2 ermächtigt Bund und Kantone, bestimmten Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, Parteistellung einzuräumen. So kann bspw. dem Amt für Umweltschutz in einem Strafverfahren wegen Verletzung umweltschutzrelevanter Strafbestimmungen (bspw. des USG) oder dem Veterinäramt in einem Strafverfahren wegen Verletzung der Tierschutzgesetzgebung Parteistellung eingeräumt werden. Verworfen wurde indes die ebenfalls diskutierte Idee, auch bestimmten privatrechtlich organisierten Vereinen oder Verbänden Parteistellung einzuräumen. Dies würde dem staatlichen Strafverfolgungsmonopol widersprechen. Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches ist dem Staatsanwalt vorbehalten.
Zu den anderen Verfahrensbeteiligten gemäss Art. 105 StGB:
Geschädigter ist bei Tatbeständen, welche Individualrechte schützen, der direkt Geschädigte, somit der tatbeständlich Verletzte. Geschädigt ist somit etwa der Eigentümer des Deliktsguts beim Diebstahl oder der Hehlerei. Aber auch der Mieter einer beschädigten Sache bei der Sachbeschädigung. Keine Geschädigtenstellung kommt dem lediglich indirekt betroffenen zu. bspw. der Versicherung (s. Schmid, Strafprozessrecht, S. 166 ff., Rz. 503 - 507). Bei Tatbeständen, die primär allgemeine öffentliche Interessen schützen, gilt auch derjenige als Geschädigter, dessen privaten Interessen unmittelbar mitbeeinträchtigt werden. Geschädigt ist somit etwa auch der Eigentümer oder Mieter einer durch Brandstiftung geschädigten Sache, der Gläubiger bei Konkurs- und Betreibungsdelikten, die ausgenützte Prostituierte bei Art. 195 StGB, der durch Vermögensdelikte Geschädigte im Falle von Urkundenfälschung, welche zur Begehung des Vermögensdeliktes diente oder der zu Unrecht falsch angeschuldigte (s. dazu Schmid, a.a.O., S. 168 f., Rz. 508 f.).
Der Anzeiger: diesem kommen freilich praktisch keine Teilnahmerecht zu. So wird er bspw. nicht einmal über die Einstellung der Strafuntersuchung orientiert (Art. 321).
Zeuge/Auskunftsperson: auch diesen kommen ausser dem Aussageverweigerungsrecht praktisch keine Teilnahmerechte zu. Indessen können sie gewisse Schutzmassnahmen in Anspruch nehmen (Art. 149 f.).
Der Sachverständige: dieser nimmt am Strafverfahren soweit teil, als es für die Erfüllung seines Auftrages erforderlich ist (bspw. Kenntnisnahme von Beweismitteln).
Der durch Verfahrenshandlungen beschwerte Dritte: bspw. der Kontoinhaber bezüglich einer Bankauskunfts- und Sperreverfügung (jedoch wohl nicht die Bank).
Art. 106 regelt die Prozessfähigkeit. Handlungsunfähige können lediglich höchstpersönliche Verfahrensrechte selbst vornehmen, vorausgesetzt sie sind urteilsfähig. Im Übrigen handeln sie durch ihre gesetzlichen Vertreter. Etwas anderes ist die notwendige Verteidigung. Gemäss Art. 130 lit. c muss der Beschuldigte notwendig verteidigt sein, wenn er wegen seines körperlichen oder geistigen Zustandes oder aus anderen Gründen seine Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren kann und die gesetzliche Vertretung dazu nicht in der Lage ist. Soweit der Beschuldigte allerdings handlungsfähig ist, kann er seine Verfahrensrechte trotz notwendiger Verteidigung immer noch selbst wahrnehmen, d.h. auch neben seinem Verteidiger selbst handeln.