Sonntag, Juli 13, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art.104 - 106

3. Titel: Parteien und andere Verfahrensbeteiligte

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

1. Abschnitt: Begriff und Stellung

Art. 104 Parteien
1 Parteien sind:
a. die beschuldigte Person;
b. die Privatklägerschaft;
c. im Haupt- und im Rechtsmittelverfahren: die Staatsanwaltschaft.
2 Bund und Kantone können weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen.

Art. 105 Andere Verfahrensbeteiligte
1 Andere Verfahrensbeteiligte sind:
a. die geschädigte Person;
b. die Person, die Anzeige erstattet;
c. die Zeugin oder der Zeuge;
d. die Auskunftsperson;
e. die oder der Sachverständige;
f. die oder der durch Verfahrenshandlungen beschwerte Dritte.
2 Werden in Absatz 1 genannte Verfahrensbeteiligte in ihren Rechten unmittelbar betroffen, so stehen ihnen die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu.

Art. 106 Prozessfähigkeit
1 Die Partei kann Verfahrenshandlungen nur gültig vornehmen, wenn sie handlungsfähig ist.
2 Eine handlungsunfähige Person wird durch ihre gesetzliche Vertretung vertreten.
3 Eine urteilsfähige handlungsunfähige Person kann neben ihrer gesetzlichen Vertretung jene Verfahrensrechte ausüben, die höchstpersönlicher Natur sind.


Die CHStPO unterscheidet, wie die heutigen kantonalen Strafprozessordnungen, zwischen den Parteien (Art. 104) und den anderen Verfahrensbeteiligten (Art. 105). Während den Parteien grundsätzlich sämtliche Verfahrensrechte uneingeschränkt zukommen,können die anderen Verfahrensbeteiligten diese nur soweit beanspruchen, als dies zur Wahrung ihrer durch die Straftat oder das Strafverfahren unmittelbar tangierten Interessen erforderlich ist. So kann bspw. der Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen und der von einer Hausdurchsuchung oder einer Beschlagnahme betroffene Dritte kann die Siegelung von Informationsträgern verlangen oder gegen die Zwangsmassnahme Beschwerde einreichen.

Parteistellung hat neben dem Beschuldigten und dem Staatsanwalt im Hauptverfahren lediglich die Privatklägerschaft. Privatkläger ist der Geschädigte, der ausdrücklich erklärt, sich im Strafverfahren als Straf- oder Zivilkläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1). Diese Position kommt dem Strafantragsteller automatisch zu (Art. 118 Abs. 2). Im Gegensatz zu einigen kantonalen Strafprozessordnungen sieht die CHStPO keine Einschränkung der Parteirechte des Privatklägers vor, für den Fall dass der Staatsanwalt vor Gericht die Anklage vertritt. Gemäss Art. 346 kann die Privatklägerschaft somit auch im Strafpunkt plädieren.

Art. 104 Abs. 2 ermächtigt Bund und Kantone, bestimmten Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, Parteistellung einzuräumen. So kann bspw. dem Amt für Umweltschutz in einem Strafverfahren wegen Verletzung umweltschutzrelevanter Strafbestimmungen (bspw. des USG) oder dem Veterinäramt in einem Strafverfahren wegen Verletzung der Tierschutzgesetzgebung Parteistellung eingeräumt werden. Verworfen wurde indes die ebenfalls diskutierte Idee, auch bestimmten privatrechtlich organisierten Vereinen oder Verbänden Parteistellung einzuräumen. Dies würde dem staatlichen Strafverfolgungsmonopol widersprechen. Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches ist dem Staatsanwalt vorbehalten.

Zu den anderen Verfahrensbeteiligten gemäss Art. 105 StGB:

Geschädigter ist bei Tatbeständen, welche Individualrechte schützen, der direkt Geschädigte, somit der tatbeständlich Verletzte. Geschädigt ist somit etwa der Eigentümer des Deliktsguts beim Diebstahl oder der Hehlerei. Aber auch der Mieter einer beschädigten Sache bei der Sachbeschädigung. Keine Geschädigtenstellung kommt dem lediglich indirekt betroffenen zu. bspw. der Versicherung (s. Schmid, Strafprozessrecht, S. 166 ff., Rz. 503 - 507). Bei Tatbeständen, die primär allgemeine öffentliche Interessen schützen, gilt auch derjenige als Geschädigter, dessen privaten Interessen unmittelbar mitbeeinträchtigt werden. Geschädigt ist somit etwa auch der Eigentümer oder Mieter einer durch Brandstiftung geschädigten Sache, der Gläubiger bei Konkurs- und Betreibungsdelikten, die ausgenützte Prostituierte bei Art. 195 StGB, der durch Vermögensdelikte Geschädigte im Falle von Urkundenfälschung, welche zur Begehung des Vermögensdeliktes diente oder der zu Unrecht falsch angeschuldigte (s. dazu Schmid, a.a.O., S. 168 f., Rz. 508 f.).

Der Anzeiger: diesem kommen freilich praktisch keine Teilnahmerecht zu. So wird er bspw. nicht einmal über die Einstellung der Strafuntersuchung orientiert (Art. 321).

Zeuge/Auskunftsperson: auch diesen kommen ausser dem Aussageverweigerungsrecht praktisch keine Teilnahmerechte zu. Indessen können sie gewisse Schutzmassnahmen in Anspruch nehmen (Art. 149 f.).

Der Sachverständige: dieser nimmt am Strafverfahren soweit teil, als es für die Erfüllung seines Auftrages erforderlich ist (bspw. Kenntnisnahme von Beweismitteln).

Der durch Verfahrenshandlungen beschwerte Dritte: bspw. der Kontoinhaber bezüglich einer Bankauskunfts- und Sperreverfügung (jedoch wohl nicht die Bank).

Art. 106 regelt die Prozessfähigkeit. Handlungsunfähige können lediglich höchstpersönliche Verfahrensrechte selbst vornehmen, vorausgesetzt sie sind urteilsfähig. Im Übrigen handeln sie durch ihre gesetzlichen Vertreter. Etwas anderes ist die notwendige Verteidigung. Gemäss Art. 130 lit. c muss der Beschuldigte notwendig verteidigt sein, wenn er wegen seines körperlichen oder geistigen Zustandes oder aus anderen Gründen seine Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren kann und die gesetzliche Vertretung dazu nicht in der Lage ist. Soweit der Beschuldigte allerdings handlungsfähig ist, kann er seine Verfahrensrechte trotz notwendiger Verteidigung immer noch selbst wahrnehmen, d.h. auch neben seinem Verteidiger selbst handeln.

Dienstag, Juni 03, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 100 - 103

9. Abschnitt: Aktenführung, Akteneinsicht und Aktenaufbewahrung

Art. 100 Aktenführung
1 Für jede Strafsache wird ein Aktendossier angelegt. Dieses enthält:
a. die Verfahrens- und die Einvernahmeprotokolle;
b. die von der Strafbehörde zusammengetragenen Akten;
c. die von den Parteien eingereichten Akten.
2 Die Verfahrensleitung sorgt für die systematische Ablage der Akten und für deren fortlaufende Erfassung in einem Verzeichnis; in einfachen Fällen kann sie von einem Verzeichnis absehen.

Art. 101 Akteneinsicht bei hängigem Verfahren
1 Die Parteien können spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten des Straf- verfahrens einsehen; Artikel 108 bleibt vorbehalten.
2 Andere Behörden können die Akten einsehen, wenn sie diese für die Bearbeitung hängiger Zivil-, Straf- oder Verwaltungsverfahren benötigen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.
3 Dritte können die Akten einsehen, wenn sie dafür ein wissenschaftliches oder ein anderes schützenswertes Interesse geltend machen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.

Art. 102 Vorgehen bei Begehren um Akteneinsicht
1 Die Verfahrensleitung entscheidet über die Akteneinsicht. Sie trifft die erforderlichen Massnahmen, um Missbräuche und Verzöge- rungen zu verhindern und berechtigte Geheimhaltungsinteressen zu schützen.
2 Die Akten sind am Sitz der betreffenden Strafbehörde oder rechtshilfeweise bei einer andern Strafbehörde einzusehen. Anderen Behörden sowie den Rechtsbeiständen der Parteien werden sie in der Regel zugestellt.
3 Wer zur Einsicht berechtigt ist, kann gegen Entrichtung einer Gebühr die Anfertigung von Kopien der Akten verlangen.

Art. 103 Aktenaufbewahrung
1 Die Akten sind mindestens bis zum Ablauf der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung aufzubewahren.
2 Ausgenommen sind Originaldokumente, die zu den Akten genommen wurden; sie sind den berechtigten Personen gegen Empfangsschein zurückzugeben, sobald die Strafsache rechtskräftig entschieden ist.


Art. 100:
Die Akten haben insbesondere die Protokolle über die durchgeführten Verfahrenshandlungen (Art. 76 Abs. 1) - inkl. die Protokolle und Berichte über die Ermittlungshandlungen der Polizei, die der Staatsanwaltschaft zu übermitteln sind (Art. 307 Abs. 3 und 4) - sowie die von der Staatsanwaltschft erhobenen und von den Parteien eingereichten Akten zu enthalten. Dies Akten haben vollständig zu sein. Die CHStPO sieht weder die Führung von sog. "Schattendossiers" noch etwa die Vernichtung oder Entfernung von Akten (die einmal zu den Verfahrensakten erhoben wurden) vor. Darüber, was zu den Akten genommen wird, entscheidet die Verfahrensleitung (und nicht etwa eine politische Behörde). Es muss daher auch als absolut unzulässig erachtet werden, wenn eine politische Behörde, etwa der Bundesrat, die Vernichtung von Akten, welche in einem Strafverfahren als Beweismittel zu den Verfahrensakten erhoben wurden, anordnen würde. Solcherlei Vorgehen würde wohl den Tatbestand der Unterdrückung von Urkunden resp. des Amtsmissbrauchs erfüllen. Gestützt auf die in Art. 4 statuierte Unabhängigkeit der Strafbehörden, wäre es auch unzulässig, wenn der Bundesrat etwa der Bundesanwaltschaft in einem konkreten Fall Weisungen erteilen würde, was zu den Akten erhoben werden darf und was nicht.

Art. 101:
Hervorzuheben ist Abs. 1, der die Akteneinsicht der Parteien, insb. des Beschuldigten, regelt. Das Akteneinsichtsrecht der Parteien ist Bestandteil des durch die Bundesverfassung (Art. 29 Abs. 2) garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Gemäss Abs. 1 können die Parteien spätestens nach der ersten Einvernahme des Beschuldigten und der Abnahme der übrigen wichtigsten Beweise in die Akten Einsicht nehmen. Das Recht des Beschuldigten, einem Belastungszeugen Fragen zu stellen, kann allerdings dafür sprechen, dem Beschuldigten bereits vor der Einvernahme des Belastungzeugen Einsicht in die Akten zu gewähren, da dieses nur in Kenntnis der Akten wahrgenommen werden kann. Es steht der Verfahrensleitung aber natürlich auch frei, eine erste Einvernahme des Belastungszeugen unter Ausschluss der Verteidigungsrechte durchzuführen und diesen dann in einer späteren Phase (nach gewährter Akteneinsicht) mit dem Beschuldigten zu konfrontieren. Im Haftverfahren gilt das Akteneinsichtsrecht unbeschränkt (Art. 225 Abs. 2; s. Botschaft, BBl. 2006, S. 1161 f.). Eine weitere Beschränkung der Akteneinsicht ist nur nach Art. 108 möglich. Es ist allerdings sehr fraglich, ob die Wahrung des Untersuchungszweckes unter die in Art. 108 Abs. 1 lit. b erwähnte Wahrung öffentlicher Geheimhaltungsinteressen fällt. Ich würde dies verneinen. Der Wahrung des Untersuchungszweckes wird die CHStPO dadurch gerecht, dass Art. 101 Abs. 1 den Ausschluss der Akteneinsicht bis nach Abschluss der ersten Einvernahme des Beschuldigten oder der Abnahme der wichtigsten Beweismittel ermöglicht. Ein weiterer Auschluss der Akteneinsicht zur Wahrung des Untersuchungszweckes unter Berufung auf Art. 108 wäre unzulässig. Letztere Bestimmung wäre allerdings dann heranzuziehen, wenn gewisse Akten die öffentliche Sicherheit gefährden könnten. In diesem Fall rechtfertigt sich eine Einschränkung der Akteneinsicht, nicht jedoch die Vernichtung von Akten. Daraus folgt, dass die Vernichtung von Akten auch nicht damit begründet werden kann, sie könnten in die falschen Hände geraten. Als mildere Massnahme wäre dann eben die Einschränkung der Akteneinsicht anzuordnen, wozu aber wie erwähnt nur die Verfahrensleitung befugt ist.

Gemäss Art. 102 entscheidet, wie bereits mehrfach erwähnt, die Verfahrensleitung über die Durchführung und allfällige Beschränkung der Akteneinsicht.

Gemäss Art. 103 sind die Akten grundsätzlich bis zum Ablauf der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung aufzubewahren. Wurden Dokumente von Dritten im Original zu den Akten genommen, so sind sie nach rechtskräftiger Erledigung des Strafverfahrens den Berechtigten herauszugeben (Abs. 2). Der Wortlaut von Abs. 2 würde es streng genommen ausschliessen, dass die Verfahrensleitung vor rechtskräftiger Erledigung der Strafsache Akten Dritter diesen zurückgibt (etwa wenn sie als nicht mehr relevant angesehen werden). In umfangreichen Strafverfahren macht es aber kaum Sinn, Akten, die sich als irrelevant erwiesen haben, bis zum Schluss des Strafverfahrens aufzubewahren. Eine Retournierung an den Berechtigten wäre aber im Verfahrensprotokoll transparent zu machen und zudem wäre sämtlichen Parteien das rechtliche Gehör zu gewähren.

Sonntag, Mai 25, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 95 - 99

8. Abschnitt: Datenbearbeitung

Art. 95 Beschaffung von Personendaten
1 Personendaten sind bei der betroffenen Person oder für diese erkennbar zu beschaffen, wenn dadurch das Verfahren nicht gefährdet oder unverhältnismässig aufwendig wird.
2 War die Beschaffung von Personendaten für die betroffene Person nicht erkennbar, so ist diese umgehend darüber zu informieren. Die Information kann zum Schutze überwiegender öffentlicher oder privater Interessen unterlassen oder aufgeschoben werden.

Art. 96 Bekanntgabe und Verwendung bei hängigem Strafverfahren 1 Die Strafbehörde darf aus einem hängigen Verfahren Personendaten zwecks Verwendung in einem anderen hängigen Verfahren bekannt geben, wenn anzunehmen ist, dass die Daten wesentliche Aufschlüsse geben können.
2 Vorbehalten bleiben die Mitteilungspflichten gemäss den Artikeln 11, 13, 14 und 20 des Bundesgesetzes vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und die Vorschriften des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1994 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes.

Art. 97 Auskunftsrechte bei hängigem Verfahren
Solange ein Verfahren hängig ist, haben die Parteien und die anderen Verfahrensbeteiligten nach Massgabe des ihnen zustehenden Akteneinsichtsrechts das Recht auf Auskunft über die sie betreffenden bearbeiteten Personendaten.

Art. 98 Berichtigung von Daten
1 Erweisen sich Personendaten als unrichtig, so berichtigen die zuständigen Strafbehörden sie unverzüglich.
2 Sie benachrichtigen unverzüglich die Behörden, denen sie unrichtige Daten mitgeteilt haben, über die Berichtigung.

Art. 99 Bearbeitung und Aufbewahrung von Personendaten nach Abschluss des Verfahrens
1 Nach Abschluss des Verfahrens richten sich das Bearbeiten von Personendaten, das Verfahren und der Rechtsschutz nach den Bestimmungen des Datenschutzrechts von Bund und Kantonen.
2 Die Dauer der Aufbewahrung von Personendaten nach Abschluss eines Verfahrens bestimmt sich nach Artikel 103.
3 Vorbehalten bleiben die Vorschriften des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1994 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes sowie die Bestimmungen dieses Gesetzes über erkennungs- dienstliche Unterlagen und DNA-Profile.


Art. 95 entspricht der Regelung in Art. 29bis Abs. 2 und 3 BStP.

Art. 96 Abs. 1 entspricht Art. 29bis Abs. 4 BStP. Gemäss dieser Bestimmung sind die Strafbehörden zur Bekanntgabe von Personendaten aus hängigen Verfahren zur Verwendung in anderen hängigen Verfahren berechtigt. Gemäss dem BWIS, auf welches Abs. 2 u.a. verweist, besteht hinsichtlich bestimmter Daten eine Mitteilungspflicht für die Strafbehörden. Offenbar war bisher umstritten, ob diese Mitteilungspflichten gemäss BWIS auch für die Strafbehörden gelten (dies trotz des eigentlich klaren Wortlautes von Art. 13 Abs. 1 lit. a BWIS; s. dazu Botschft, BBl. 2006, S. 1159).

Art. 97 regelt das Auskunftsrecht von Betroffenen in hängigen Strafverfahren. Das Datenschutzgesetz (DSG) findet gemäss Art. 2 Abs. 2 keine Anwendung auf hängige Verfahren. Berechtigt, Auskunft über die sie betreffenden bearbeiteten Personendaten zu erlangen, sind lediglich die Parteien gemäss Art. 104 und die anderen Verfahrensbeteiligten gemäss Art. 105. Und auch dies nur nach Massgabe des Akteneinsichtsrechts (Art. 101). Gemäss jetzigem Art. 102bis BStP konnte jede Person bei der Bundesanwaltschaft Auskunft über sie betreffende Prsonendaten beantragen, welche die gerichtliche Polizei bearbeitet.

Art. 98 nimmt das aus dem DSG fliessende Recht der Betroffenen auf Berichtigung unrichtiger Daten auf. Diese sind unverzüglich zu berichtigen. Gemäss dem heute für den Bundesstrafprozess noch geltenden Art. 29bis Abs. 5 BStP hat die Berichtigung demgegenüber bis spätestens bei Abschluss des Ermittlungsverfahrens oder der Voruntersuchung zu erfolgen. Art. 98 regelt lediglich die Berichtigung offensichtlich falscher Daten. Bestehen lediglich Zweifel an der Richtigkeit, hat keine unverzügliche Berichtigung zu erfolgen (s. Botschaft, BBl. 2006, S. 1160).

Art. 99 verweist auf das DSG, welches nach Abschluss des Verfahrens grundsätzlich uneingeschränkt gilt.

Samstag, Mai 17, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 89 - 94

7. Abschnitt: Fristen und Termine

Art. 89 Allgemeine Bestimmungen
1 Gesetzliche Fristen können nicht erstreckt werden.
2 Im Strafverfahren gibt es keine Gerichtsferien.

Art. 90 Beginn und Berechnung der Fristen
1 Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen.
2 Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder einen am Ort der zuständigen Strafbehörde vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endet sie am nächsten Werktag. Massgebend ist das Recht des Kantons, in dem die Partei oder ihr Rechtsbeistand den Wohnsitz oder den Sitz hat.

Art. 91 Einhaltung von Fristen
1 Die Frist ist eingehalten, wenn die Verfahrenshandlung spätestens am letzten Tag bei der zuständigen Behörde vorgenommen wird.
2 Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren Handen der Schweizerischen Post, einer schweize- rischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder, im Falle von inhaftierten Personen, der Anstalts- leitung übergeben werden.
3 Bei elektronischer Übermittlung ist die Frist gewahrt, wenn der Empfang bei der Strafbehörde spätestens am letzten Tag der Frist durch ihr Informatik- system bestätigt worden ist.
4 Die Frist gilt auch dann als gewahrt, wenn die Eingabe spätestens am letzten Tag der Frist bei einer nicht zuständigen schweize- rischen Behörde eingeht. Diese leitet die Eingabe unverzüglich an die zuständige Strafbehörde weiter.
5 Die Frist für eine Zahlung an eine Strafbehörde ist gewahrt, wenn der Betrag spätestens am letzten Tag der Frist zugunsten der Strafbehörde der Schweizerischen Post übergeben oder einem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet worden ist.

Art. 92 Erstreckung von Fristen und Verschiebung von Terminen
Die Behörden können von Amtes wegen oder auf Gesuch hin die von ihnen angesetzten Fristen erstrecken und Verhandlungstermine verschieben. Das Gesuch muss vor Ablauf der Frist gestellt werden und hinreichend begründet sein.

Art. 93 Säumnis
Eine Partei ist säumig, wenn sie eine Verfahrenshandlung nicht fristgerecht vornimmt oder zu einem Termin nicht erscheint.

Art. 94 Wiederherstellung
1 Hat eine Partei eine Frist versäumt und würde ihr daraus ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen, so kann sie die Wiederherstellung der Frist verlangen; dabei hat sie glaubhaft zu machen, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft.
2 Das Gesuch ist innert 30 Tagen nach Wegfall des Säumnisgrundes schriftlich und begründet bei der Behörde zu stellen, bei welcher die versäumte Verfahrenshandlung hätte vorgenommen werden sollen. Innert der gleichen Frist muss die versäumte Verfahrens- handlung nachgeholt werden.
3 Das Gesuch hat nur aufschiebende Wirkung, wenn die zuständige Behörde sie erteilt.
4 Über das Gesuch entscheidet die Strafbehörde in einem schriftlichen Verfahren.
5 Die Absätze 1–4 gelten sinngemäss bei versäumten Terminen. Wird die Wiederherstellung bewilligt, so setzt die Verfahrensleitung einen neuen Termin fest. Die Bestimmungen über das Abwesen- heitsverfahren bleiben vorbehalten.


Art.89:
Im Gegensatz zu den vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft gesetzten Fristen zur Vornahme von Parteihandlungen sind die vom Gesetz vorgegebenen Fristen nicht erstreckbar. Im Strafprozess gelten auch keine Gerichtsferien. Der im Strafverfahren geltende Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung geht vor.

Art. 90:
Abs. 1 bestimmt, dass die Frist welche nach Tagen bestimmt ist, erst am Folgetag des fristauslösenden Ereignisses zu laufen beginnt.

Abs. 2 stellt eine gesetzgeberische Panne dar. Die Bestimmung ist nämlich widersprüchlich. Gemäss dem ersten Satz ist für die Bestimmung von fristverlängernden Feiertagen das Recht am Orte der zuständigen Strafbehörde massgebend. Der zweite Satz hingegen stellt auf den Wohnsitz der Partei oder seines Vertreters ab, welche innerhalb der Frist handeln sollen. Was gilt nun, wenn die Partei und ihr Vertreter in je unterschiedlichen Kantonen Wohnsitz haben und das Strafverfahren nochmals in einem anderen Kanton geführt wird ? Beispiel: Verfahrensführender Kanton ist der Kanton Solothurn. Der Beschuldigte wohnt im Kanton Bern und sein Verteidiger hat Sitz im Kanton Zürich. Einzig massgebend sein kann gemäss richtiger Auslegung dieser Bestimmung lediglich das Recht des verfahrensführenden Kantons. Der zweite Satz von Abs. 2 ist somit ersatzlos zu streichen. Das Recht welches am Ort der verfahrensführenden Behörde gilt ist auch in durch Bundesstrafbehörden geführten Verfahren massgebend. Wird ein Strafverfahren bspw. durch die Zweigstelle Zürich der Bundesanwaltschaft geführt, so gelten nach dem kantonalzürcherischen Recht anerkannte Feiertage als fristverlängernd. Ist das Verfahren vor Bundesstrafgericht hängig, so gilt das Feiertagsrecht des Kantons Tessin. Entscheidendes Kriterium ist, ob ein betreffender Tag am jeweiligen Ort der verfahrensführenden Behörde als staatlich anerkannter Feiertag gilt. So gilt etwa der Stefanstag nach dem kantonalen Gesetz vom 24. Mai 1964 über die öffentlichen Ruhetage im Kanton Solothurn nicht als staatlich anerkannter Feiertag. Endet eine Frist also am Stefanstag, so ist die entsprechende Parteihandlung auch dann vorzunehmen, unbesehen des Umstandes, dass die Büros der kantonalen Verwaltung an diesem Tag geschlossen sind (Entscheid des Bundesgerichtes vom 25.7.2006).

Art. 91: diese Regelung entspricht der bisherigen Rechtsprechung.

Art. 92: Fristerstreckungsgesuche müssen innerhalb der ursprünglichen Frist gestellt werden. Eine Notfrist für den Fall, dass die zuständige Behörde ein Fristerstreckungsgesuch abweist, ist nicht vorgesehen. Es empfiehlt sich daher, Gesuche um Fristerstreckung nicht erst am letzten Tag der Frist zu stellen. Indessen wäre es wohl willkürlich, wenn die zuständige Behörde den Entscheid über ein Fristerstreckungsgesuch, welches einige Tage vor Ablauf der Frist gestellt wird, erst am letzten Tag der Frist abweist und so der Partei die Möglichkeit nimmt, die Frist doch noch zu wahren.

Art. 93 und 94 regeln die Säumnis sowie die Wiederherstellung einer Frist. Art. 94 Abs. 1 wurde im Parlament g.ü. dem Entwurf verschärft, indem die Wiederherstellung nur bei gänzlich unverschuldeter Säumnis möglich ist. Der Entwurf hätte die Widerherstellung auch im Falle von lediglich leichtem Verschulden noch zulassen wollen.

Dienstag, Mai 13, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 84 - 88

6. Abschnitt: Eröffnung der Entscheide und Zustellung

Art. 84 Eröffnung der Entscheide
1 Ist das Verfahren öffentlich, so eröffnet das Gericht das Urteil im Anschluss an die Urteilsberatung mündlich und begründet es kurz.
2 Das Gericht händigt den Parteien am Ende der Hauptverhandlung das Urteilsdispositiv aus oder stellt es ihnen innert 5 Tagen zu.
3 Kann das Gericht das Urteil nicht sofort fällen, so holt es dies so bald als möglich nach und eröffnet das Urteil in einer neu angesetzten Hauptverhandlung. Verzichten die Parteien in diesem Falle auf eine öffentliche Urteilsverkündung, so stellt ihnen das Gericht das Dispositiv sofort nach der Urteilsfällung zu.
4 Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu, den übrigen Parteien nur jene Teile des Urteils, in denen ihre Anträge behandelt werden.
5 Die Strafbehörde eröffnet einfache verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen den Parteien schriftlich oder mündlich.
6 Entscheide sind nach den Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts anderen Behörden, Rechtsmittelentscheide auch der Vorinstanz, rechtskräftige Entscheide soweit nötig den Vollzugs- und den Strafregisterbehörden mitzuteilen.

Art. 85 Form der Mitteilungen und der Zustellung
1 Die Strafbehörden bedienen sich für ihre Mitteilungen der Schriftform, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.
2 Die Zustellung erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung, insbesondere durch die Polizei.
3 Sie ist erfolgt, wenn die Sendung von der Adressatin oder dem Adressaten oder von einer angestellten oder im gleichen Haushalt lebenden, mindestens sechzehn Jahre alten Person entgegen- genommen wurde. Vorbehalten bleiben Anweisungen
der Strafbehörden, eine Mitteilung der Adressatin oder dem Adressaten persönlich zuzustellen.
4 Sie gilt zudem als erfolgt:
a. bei einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist: am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungs- versuch, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste;
b. bei persönlicher Zustellung, wenn die Adressatin oder der Adressat die Annahme verweigert und dies von der Überbringerin oder dem Überbringer festgehalten wird: am Tag der Weigerung.

Art. 86 Elektronische Zustellung
Mit dem Einverständnis der betroffenen Person kann jede Zustellung elektronisch erfolgen.

Art. 87 Zustellungsdomizil
1 Mitteilungen sind den Adressatinnen und Adressaten an ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder an ihren Sitz zuzustellen.
2 Parteien und Rechtsbeistände mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthaltsort oder Sitz im Ausland haben in der Schweiz ein Zustellungsdomizil zu bezeichnen; vorbehalten bleiben staatsvertragliche Vereinbarungen, wonach Mitteilungen direkt zugestellt werden können.
3 Mitteilungen an Parteien, die einen Rechtsbeistand bestellt haben, werden rechtsgültig an diesen zugestellt.
4 Hat eine Partei persönlich zu einer Verhandlung zu erscheinen oder Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen, so wird ihr die Mitteilung direkt zugestellt. Dem Rechtsbeistand wird eine Kopie zugestellt.

Art. 88 Öffentliche Bekanntmachung
1 Die Zustellung erfolgt durch Veröffentlichung in dem durch den Bund oder den Kanton bezeichneten Amtsblatt, wenn:
a. der Aufenthaltsort der Adressatin oder des Adressaten unbekannt ist und trotz zumutbarer Nachforschungen nicht ermittelt werden kann;
b. eine Zustellung unmöglich ist oder mit ausserordentlichen Umtrieben verbunden wäre;
c. eine Partei oder ihr Rechtsbeistand mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthaltsort oder Sitz im Ausland kein Zustellungsdomizil in der Schweiz bezeichnet hat.
2 Die Zustellung gilt am Tag der Veröffentlichung als erfolgt.
3 Von Endentscheiden wird nur das Dispositiv veröffentlicht.
4 Einstellungsverfügungen und Strafbefehle gelten auch ohne Veröffentlichung als zugestellt.


Art. 84 regelt die Eröffnung der Urteile. Grundsätzlich hat die Urteilseröffnung im öffentlichen Verfahren mündlich zu erfolgen, es sei denn, die Parteien verzichten auf eine mündliche Urteilseröffnung (Abs. 3). Auch im Falle der mündlichen Urteilseröffnung ist den Parteien hernach das Urteil im Dispositiv schriftlich zuzustellen. Die Rechtsmittelfrist beginnt jedoch mit der Urteilseröffnung zu laufen und wird somit im Falle der mündlichen Urteilseröffnung nicht erst durch die Zustellung des schriftlichen Urteilsdispositivs ausgelöst. Abs. 4 stellt in Konkretisierung des Beschleunigungsgebots Fristen für die schriftliche Urteilsbegründung auf. Diese Frist beträgt 60 Tage. Ausnahmsweise kommt eine verlängerte Frist von 90 Tagen zum Tragen. Diese Frist rechtfertigt sich jedoch lediglich in Straffällen von ausserordentlicher Komplexität (Botschaft, BBl. 2006, S. 1157). Die Botschaft scheint somit davon auszugehen, dass diese Fristen strikt einzuhalten sind und nicht lediglich ungefähre Richtwerte darstellen. Dies wird in der Praxis erhebliche Auswirkungen auf die personelle Dotierung der Gerichte haben, herrschen doch in einigen Kantonen in der Praxis heute deutlich längere Fristen vor.

Art. 85 regelt die Zustellung. Die in Abs. 4 aufgestellte Zustellungsfiktion entspricht der heutigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung.

Art. 86 ermöglicht im Einverständnis der betroffenen Person die elektronische Zustellung. Dieses Einverständnis kann etwa im Falle von berufsmässig tätigen Rechtsanwälten auch in genereller Art erteilt werden.

Art. 87 regelt das Zustellungsdomizil. Dieses hat grundsätzlich in der Schweiz zu liegen, es sei denn der Rechtsbeistand oder die Partei habe ihren Aufenthalt oder Wohnsitz in einem Staat in welchen die Schweiz gemäss internationaler Vereinbarung Zustellungen direkt vornehmen kann (Abs. 2). Sinn dieser Bestimmung ist es, zu verhindern, dass für jede Zustellung Rechtshilfeverfahren nötig sind. Auch diese Bestimmung dient somit dem Beschleunigungsgebot. Gemäss Abs. 3 erfolgt die Zustellung bei verbeiständeten Parteien an den Rechtsbeistand, es sei denn die Partei habe persönlich zu erscheinen oder eine Verfahrenshandlung selbst vorzunehmen (Abs. 4).

Art. 88 stellt eine weitere Zustellungsfiktion auf. In drei Fällen erfolgt die Zustellung durch amtliche Publikation: bei unbekanntem Aufenthalt des Adressaten; die Zustellung ist unmöglich oder mit ausserordentlichen Umtrieben verbunden (was nicht leichthin angenommen werden darf); eine Partei oder ein Rechtsbeistand mit Domizil im Ausland hat kein Zustellungsdomizil in der Schweiz bestimmt und eine direkte Zustellung ins Ausland ist nicht zulässig. In diesen drei Fällen (und nur dann: s. Botschaft, BBl. 2006, S. 1158) gelten Einstellungsverfügungen und Strafverfügungen auch ohne öffentliche Publikation als zugestellt (Abs. 4). Auch Art. 88 dient der Durchsetzung des Beschleunigungsgebots, soll der Eintritt der Rechtskraft von Entscheiden doch nicht durch endlos lange Zustellungen verzögert werden.

Montag, Mai 12, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 80 - 83

5. Abschnitt: Entscheide

Art. 80 Form
1 Entscheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell befunden wird, ergehen in Form eines Urteils. Die anderen Entscheide ergehen, wenn sie von einer Kollektivbehörde
gefällt werden, in Form eines Beschlusses, wenn sie von einer Einzelperson gefällt werden, in Form einer Verfügung. Die Bestimmungen des Strafbefehlsverfahrens bleiben vorbehalten.
2 Entscheide ergehen schriftlich und werden begründet. Sie werden von der Verfahrensleitung sowie der protokollführenden Person unterzeichnet und den Parteien zugestellt.
3 Einfache verfahrensleitende Beschlüsse und Verfügungen brauchen weder besonders ausgefertigt noch begründet zu werden; sie werden im Protokoll vermerkt und den Parteien in geeigneter Weise eröffnet.

Art. 81 Inhalt der Endentscheide
1 Urteile und andere verfahrenserledigende Entscheide enthalten:
a. eine Einleitung;
b. eine Begründung;
c. ein Dispositiv;
d. sofern sie anfechtbar sind: eine Rechtsmittelbelehrung.
2 Die Einleitung enthält:
a. die Bezeichnung der Strafbehörde und ihrer am Entscheid mitwirkenden Mitglieder;
b. das Datum des Entscheids;
c. eine genügende Bezeichnung der Parteien und ihrer Rechtsbeistände;
d. bei Urteilen die Schlussanträge der Parteien.
3 Die Begründung enthält:
a. bei Urteilen: die tatsächliche und die rechtliche Würdigung des der beschuldigten Person zur Last gelegten Verhaltens, die Begründung der Sanktionen, der Nebenfolgen sowie der Kosten- und Entschädigungsfolgen;
b. bei anderen verfahrenserledigenden Entscheiden: die Gründe für die vorgesehene Erledigung des Verfahrens.
4 Das Dispositiv enthält:
a. die Bezeichnung der angewendeten Gesetzesbestimmungen;
b. bei Urteilen: den Entscheid über Schuld und Sanktion, Kosten- und Entschädigungsfolgen und allfällige Zivilklagen;
c. bei anderen verfahrenserledigenden Entscheiden: die Anordnung über die Erledigung des Verfahrens;
d. die nachträglichen richterlichen Entscheidungen;
e. den Entscheid über die Nebenfolgen;
f. die Bezeichnung der Personen und Behörden, die eine Kopie des Entscheides oder des Dispositivs erhalten.

Art. 82 Einschränkungen der Begründungspflicht
1 Das erstinstanzliche Gericht verzichtet auf eine schriftliche Begründung, wenn es:
a. das Urteil mündlich begründet; und
b. nicht eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB, eine Behandlung nach Artikel 59 Absatz 3 StGB oder, bei gleichzeitig zu widerrufenden bedingten Sanktionen, einen Freiheitsentzug von mehr als zwei Jahren ausspricht.
2 Das Gericht stellt den Parteien nachträglich ein begründetes Urteil zu, wenn:
a. eine Partei dies innert 10 Tagen nach Zustellung des Dispositivs verlangt;
b. eine Partei ein Rechtsmittel ergreift.
3 Verlangt nur die Privatklägerschaft ein begründetes Urteil oder ergreift sie allein ein Rechtsmittel, so begründet das Gericht das Urteil nur in dem Masse, als dieses sich auf das strafbare Verhalten zum Nachteil der Privatklägerschaft und auf deren Zivilansprüche bezieht.
4 Im Rechtsmittelverfahren kann das Gericht für die tatsächliche und die rechtliche Würdigung des angeklagten Sachverhalts auf die Begründung der Vorinstanz verweisen.

Art. 83 Erläuterung und Berichtigung von Entscheiden
1 Ist das Dispositiv eines Entscheides unklar, widersprüchlich oder unvollständig oder steht es mit der Begründung im Widerspruch, so nimmt die Strafbehörde, die den Entscheid gefällt hat, auf Gesuch einer Partei oder von Amtes wegen eine Erläuterung
oder Berichtigung des Entscheids vor.
2 Das Gesuch ist schriftlich einzureichen; die beanstandeten Stellen beziehungsweise die gewünschten Änderungen sind anzugeben.
3 Die Strafbehörde gibt den anderen Parteien Gelegenheit, sich zum Gesuch zu äussern.
4 Der erläuterte oder berichtigte Entscheid wird den Parteien eröffnet.


Art. 80 unterscheidet entsprechend der herkömmlichen strafprozessrechtlichen Terminologie die Entscheide in der Sache, welche als Urteile ergehen und die Prozessentscheide, welche als Verfügungen oder Beschlüsse ergehen (Abs. 1). Sämtliche Entscheide sind grundsätzlich schriftlich zu erlassen und zu begründen (Abs. 2). Abs. 3 sieht die Möglichkeit vor, einfache verfahrensleitende Entscheide lediglich im Protokoll festzuhalten und auf eine Begründung zu verzichten. Die Bestimmung äussert sich nicht darüber, wann es sich um einen einfachen Entscheid handelt. Dabei wird einerseits zu fordern sein, dass der Entscheid nicht erheblich in die Rechte der Prozessparteien oder Dritter eingreift. Andererseits muss es sich wohl auch um einen Entscheid handeln, dem keine rechtlich komplexen Erwägungen zu Grunde liegen, der sich somit quasi von selbst versteht. Wenn Abs. 3 vorsieht, dass solche Entscheide den Parteien in geeigneter Weise zu eröffnen sind, so ist damit wohl eine mündliche Eröffnung gemeint. Unbedenklich ist diese Regelung bei verfahrensleitenden Entscheiden, welche das Gericht anlässlich der Hauptverhandlung fällt und welche zusammen mit dem Urteil anfechtbar sind. Im Verlaufe des Vorverfahrens sollte von dieser Bestimmung lediglich zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.

Art. 81 regelt Aufbau und Inhalt von Endentscheiden. Dabei hat man sich auf die bisher beim Bund und in den Kantonen übliche und überwiegend einheitliche Praxis abgestützt.

Art. 82 sieht in zweierlei Hinsicht Erleichterungen an die Begründungspflicht vor. Gemäss Abs. 1 - 3 kann das erstinstanzliche Gericht das Urteil lediglich mündlich begründen, wenn keine Freiheitsstrafe über 2 Jahre, Massnahme nach Art. 59 Abs. 3 oder Verwahrung nach Art. 64 StGB angeordnet wird. Abs. 4 ermöglicht der Rechtsmittelinstanz auf die Begründung der Vorinstanz bezüglich tatsächlicher und rechtlicher Würdigung des angeklagten Sachverhaltes zu verweisen.

Art. 83 sieht die Erläuterung und Berichtigung von Entscheiden vor. Dieses Institut ist auch praktisch sämtlichen bisherigen Strafprozessordnungen bekannt. Die Erläuterung oder Berichtigung kann von Amtes Wegen oder auf Antrag einer Partei angeordnet werden. Im Gegensatz zu einem Rechtsmittel wird damit keine materielle Änderung des Entscheides herbeigeführt. Trotzdem sollte eine Erläuterung oder Berichtigung zeitlich nicht unbeschränkt lange zugelassen werden. Auch wenn Art. 83 keine Frist vorsieht sollte die Erläuterung oder Berichtigung sinnvollerweise lediglich während der Rechtsmittelfrist resp. desselben Zeitraums nach Zustellung der schriftlichen Urteilsbegründung zugelassen werden. Aus Abs. 4, wonach der erläuterte oder berichtigte Entscheid den Parteien eröffnet wird, ist zu folgern, dass diese Eröffnung auch eine neue Rechtsmittelfrist auslöst.

Mittwoch, Februar 20, 2008

CHStPO: Kommentar zu Art. 76 - 79

4. Abschnitt: Protokolle

Art. 76 Allgemeine Bestimmungen
1 Die Aussagen der Parteien, die mündlichen Entscheide der Behörden sowie alle anderen Verfahrenshandlungen, die nicht schriftlich durchgeführt werden, werden protokolliert.
2 Die protokollführende Person, die Verfahrensleitung und die allenfalls zur Übersetzung beigezogene Person bestätigen die Richtigkeit des Protokolls.
3 Die Verfahrensleitung ist dafür verantwortlich, dass die Verfahrenshandlungen vollständig und richtig protokolliert werden.
4 Sie kann anordnen, dass Verfahrenshandlungen zusätzlich zur schriftlichen Protokollierung ganz oder teilweise in Ton oder Bild festgehalten werden. Sie gibt dies den anwesenden Personen vorgängig bekannt.

Art. 77 Verfahrensprotokolle
Die Verfahrensprotokolle halten alle wesentlichen Verfahrenshandlungen fest und geben namentlich Auskunft über:
a. Art, Ort, Datum und Zeit der Verfahrenshandlungen;
b. die Namen der mitwirkenden Behördenmitglieder, der Parteien, ihrer Rechtsbeistände sowie der weiteren anwesenden Personen;
c. die Anträge der Parteien;
d. die Belehrung über die Rechte und Pflichten der einvernommenen Personen;
e. die Aussagen der einvernommenen Personen;
f. den Ablauf des Verfahrens, die von der Strafbehörde getroffenen Anordnungen sowie die Beachtung der für die einzelnen Verfahrenshandlungen vorgesehenen Formvorschriften;
g. die von den Verfahrensbeteiligten eingereichten oder im Strafverfahren sonst wie beschafften Akten und anderen Beweisstücke;
h. die Entscheide und deren Begründung, soweit diese den Akten nicht in separater Ausfertigung beigelegt werden.

Art. 78 Einvernahmeprotokolle
1 Die Aussagen der Parteien, Zeuginnen, Zeugen, Auskunftspersonen und Sachverständigen werden laufend protokolliert.
2 Die Protokollierung erfolgt in der Verfahrenssprache, doch sind wesentliche Aussagen soweit möglich in der Sprache zu protokollieren, in der die einvernommene Person ausgesagt hat.
3 Entscheidende Fragen und Antworten werden wörtlich protokolliert.
4 Die Verfahrensleitung kann der einvernommenen Person gestatten, ihre Aussagen selbst zu diktieren.
5 Nach Abschluss der Einvernahme wird der einvernommenen Person das Protokoll vorgelesen oder ihr zum Lesen vorgelegt. Sie hat das Protokoll nach Kenntnisnahme zu unterzeichnen und jede Seite zu visieren. Lehnt sie es ab, das Protokoll durchzulesen oder zu unterzeichnen, so werden die Weigerung und die dafür angegebenen Gründe im Protokoll vermerkt.
6 Bei Einvernahmen mittels Videokonferenz ersetzt die mündliche Erklärung der einvernommenen Person, sie habe das Protokoll zur Kenntnis genommen, die Unterzeichnung und Visierung. Die Erklärung wird im Protokoll vermerkt.
7 Sind handschriftlich erstellte Protokolle nicht gut lesbar oder wurden die Aussagen stenografisch oder mittels technischer Hilfsmittel aufgezeichnet, so werden sie unverzüglich in Reinschrift übertragen. Die Notizen und anderen Aufzeichnungen
werden bis zum Abschluss des Verfahrens aufbewahrt.

Art. 79 Berichtigung
1 Offenkundige Versehen berichtigt die Verfahrensleitung zusammen mit der protokollführenden Person; sie informiert darüber anschliessend die Parteien.
2 Über Gesuche um Protokollberichtigung entscheidet die Verfahrensleitung.
3 Berichtigungen, Änderungen, Streichungen und Einfügungen werden von der protokollführenden Person und der Verfahrensleitung beglaubigt. Inhaltliche Änderungen werden so ausgeführt, dass die ursprüngliche Protokollierung erkennbar
bleibt.


Die Bestimmungen des 4. Abschnittes über die Protokollierung sind die logische Folge des Grundsatzes der Mündlichkeit. Die Dokumentationspflicht, welche besagt, dass sämtliche nicht schriftlichen Verfahrenshandlungen der Strafbehörden und der Parteien zu protokollieren sind, soll die Nachvollziehbarkeit des Strafverfahrens gewährleisten. Sie ist somit auch Bedingung für die Beschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit (Art. 343). Wenn man sich eben dazu entschliesst, die Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung zu beschränken, wie dies der Bundesgesetzgeber getan hat, dann bedingt dies, dass das Gericht nachvollziehen kann, wie und auf welche Weise die Beweise im Vorverfahren erhoben wurden. Die Dokumentationspflicht hat somit nicht lediglich Gedächtnis- oder Perpetuierungsfunktion sondern auch Garantiefunktion, indem sie einen korrekten Verfahrensgang sicherstellen soll (s.a. Botschaft, BBl. 2006, S. 1155).

Mit der Dokumentationspflicht hängt auch die Pflicht zur Aktenführung (Art. 100) eng zusammen. Protokollierungs- und Aktenführungspflicht machen jedoch das Verfahren nicht zum schriftlichen, sie gewährleisten vielmehr den korrekten Ablauf und die Nachvollziehbarkeit des mündlichen Verfahrens. Sie dienen nicht nur der möglichst umfassenden Beurteilung des Prozessgegenstandes durch das Gericht anlässlich der Hauptverhandlung sondern auch der Beurteilung der Verfahrenshandlungen durch die Rechtsmittelinstanzen.

Art. 76:
Diese Bestimmung statuiert den Grundsatz der Dokumentations- oder Protokollierungspflicht. Sie umfasst sowohl die Verfahrensprotokolle (Art. 77) wie auch die Einvernahmeprotokolle (Art. 78). Die Protokollierungspflicht gilt für alle Verfahrensstufen, also auch im polizeilichen Ermittlungsverfahren (Botschaft, BBl. 2006, S. 1155). Für das polizeiliche Ermittlungsverfahren sind zudem in Art. 307 Abs. 3 und 4 weiterführende Bestimmungen enthalten. Art. 307 Abs. 3 hält jedoch ausdrücklich an der Dokumentationspflicht für das polizeiliche Ermittlungsverfahren fest. Die Polizei hat grundsätzlich all ihre Feststellungen sowie getroffenen Massnahmen laufend in schriftlichen Berichten festzuhalten, welche spätestens nach Abschluss der Ermittlungen zusammen mit den übrigen Akten der Staatsanwaltschaft zu übermitteln sind. Gemäss Abs. 4 kann die Polizei ausnahmsweise von der Berichterstattung absehen, wenn zu weiteren Verfahrensschritten der Staatsanwaltschaft offensichtlich kein Anlass besteht und keine Zwangsmassnahmen oder andere formalisierte Ermittlungshandlungen durchgeführt worden sind.

Diese Bestimmung (Art. 307 Abs. 4) enthält wohl einiges an Auslegungsbedarf. Sie kann sicherlich nicht so gelesen werden, dass auf die Berichterstattung durch die Polizei verzichtet werden kann, bezüglich Ermittlungshandlungen, über welche keine Berichte erstellt wurden (aber was sonst ist gemeint mit nicht formalisierten Ermittlungshandlungen ?); würde man Abs. 4 so verstehen, so würde sich die Katze förmlich "in den Schwanz beissen".

Einfach gesagt, hat also die Polizei sämtliche wesentlichen Ermittlungshandlungen zu protokollieren, unabhängig davon, ob durch die Staatsanwaltschaft schon eine Strafuntersuchung eröffnet wurde oder nicht. Für die Erfüllung der Protokollierungspflicht ist die Verfahrensleitung zuständig (Abs. 3). Dies ist auch im polizeilichen Ermittlungsverfahren (somit vor der förmlichen Eröffnung der Strafuntersuchung) die Staatsanwaltschaft (Art. 61). Hingegen dürfte Art. 76 Abs. 2 kaum so eng verstanden werden, dass der zuständige Staatsanwalt als Verfahrensleiter auch sämtliche durch die Polizei erstellten Protokolle zu unterzeichnen hat (sondern wohl lediglich diejenigen bezüglich der Verfahrenshandlungen, an denen er selbst teilgenommen hat).

Art. 77:
Diese Bestimmung richtet sich auf sämtliche wesentlichen Verfahrenshandlungen (also auch die Einvernahmen) und bestimmt, was das Verfahrensprotokoll zu enthalten hat.

Art. 78:
Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist enger. Sie bezieht sich lediglich auf eine Gruppe von Verfahrenshandlungen, nämlich die Einvernahmen. Auffällig ist die Bestimmung gemäss Abs. 2, wonach wesentliche Aussagen (auch) in der Sprache zu protokollieren sind, in der die einvernommene Person spricht. Dies lässt sich wohl nur auf die gängigen Sprachen anwenden (man stelle sich etwa die Protokollierung von Aussagen in der chinesischen oder in kyrillischen Sprachen vor; in diesem Sinn äussert sich auch die Botschaft: BBl. 2006, S. 1156). Im Übrigen wird die in den meisten Kantonen verbreitete Tradition übernommen, kein Wortprotokoll sondern lediglich ein sinngemässes Protokoll der Aussagen zu erstellen. Entscheidende Fragen und Antworten sind jedoch wörtlich zu protokollieren (Abs. 3). Abs. 6 ermöglich die Einvernahme mittels Videokonferenz. In diesem Fall ist jedoch trotzdem ein Protokoll zu erstellen. Dies gilt auch in dem Fall, wo die Einvernahme auf Tonband oder Video (resp. DVD) festgehalten wird (Art. 76 Abs. 4).

Art. 79:
Art. 79 statuiert den (in der Praxis verbreiteten) Grundsatz, dass Protokollberichtigungen nachvollziehbar zu dokumentieren sind. Diese Bestimmung richtet sich wiederum auf sämtliche Protokollarten (nicht nur die Einvernahmeprotokolle).

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