Sonntag, November 11, 2007

CHStPO: Kommentar zu Art. 22 - 28

Art. 22 Kantonale Gerichtsbarkeit
Die kantonalen Strafbehörden verfolgen und beurteilen die Straftaten des Bundesrechts; vorbehalten bleiben die gesetzlichen Ausnahmen.

Art. 23 Bundesgerichtsbarkeit im Allgemeinen
1 Der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen folgende Straftaten des StGB:
a. die Straftaten des ersten und vierten Titels sowie der Artikel 140, 156, 189 und 190, sofern sie gegen völkerrechtlich geschützte Personen, gegen Magistratspersonen des Bundes, gegen Mitglieder der Bundesversammlung, gegen den Bundesanwalt, die Bundesanwältin den Stellvertretenden Bundesanwalt oder die Stellvertretende Bundesanwältin gerichtet sind;
b. die Straftaten der Artikel 137–141, 144, 160 und 172ter, sofern sie Räumlichkeiten,Archive oder Schriftstücke diplomatischer Missionen und konsularischer Posten betreffen;
c. die Geiselnahme nach Artikel 185 zur Nötigung von Behörden des Bundes oder des Auslandes;
d. die Verbrechen und Vergehen der Artikel 224–226ter;
e. die Verbrechen und Vergehen des zehnten Titels betreffend Metallgeld, Papiergeld und Banknoten, amtliche Wertzeichen und sonstige Zeichen des Bundes, Mass und Gewicht;
f. die Verbrechen und Vergehen des elften Titels, sofern es sich um Urkunden des Bundes handelt, ausgenommen Fahrausweise und Belege des Postzahlungsverkehrs;
g. die Straftaten des zwölften Titelsbis;
h. die Straftaten des Artikels 260bis sowie des dreizehnten – fünfzehnten und des siebzehnten Titels, sofern sie gegen den Bund, die Behörden des Bundes, gegen den Volkswillen bei eidgenössischen Wahlen, Abstimmungen, Referendums- oder Initiativbegehren, gegen die Bundesgewalt oder gegen die Bundesrechtspflege gerichtet sind;
i. die Verbrechen und Vergehen des sechzehnten Titels;
j. die Straftaten des achtzehnten und neunzehnten Titels sofern sie von einem Behördenmitglied oder Angestellten des Bundes oder gegen den Bund verübt wurden;
k. die Übertretungen der Artikel 329–331;
l. die politischen Verbrechen und Vergehen, die Ursache oder Folge von Unruhen sind, durch die eine bewaffnete eidgenössische Intervention veranlasst wird.
2 Die in besonderen Bundesgesetzen enthaltenen Vorschriften über die Zuständigkeit des Bundesstrafgerichts bleiben vorbehalten.

Art. 24 Bundesgerichtsbarkeit bei organisiertem Verbrechen, Finanzierung des Terrorismus und Wirtschaftskriminalität
1 Der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen zudem die Straftaten nach den Artikeln 260ter, 260quinquies, 305bis, 305ter und 322ter–322septies StGB6 sowie die Verbrechen,die von einer kriminellen Organisation im Sinne von Artikel 260ter StGB ausgehen, wenn die Straftaten:
a. zu einem wesentlichen Teil im Ausland begangen worden sind;
b. in mehreren Kantonen begangen worden sind und dabei kein eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht.
2 Bei Verbrechen des zweiten und des elften Titels des StGB kann die Staatsanwaltschaft des Bundes eine Untersuchung eröffnen, wenn:
a. die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt sind; und
b. keine kantonale Strafverfolgungsbehörde mit der Sache befasst ist oder die zuständige kantonale Strafverfolgungsbehörde die Staatsanwaltschaft des Bundes um Übernahme des Verfahrens ersucht.
3 Die Eröffnung einer Untersuchung nach Absatz 2 begründet Bundesgerichtsbarkeit.

Art. 25 Delegation an die Kantone
1 Die Staatsanwaltschaft des Bundes kann eine Strafsache, für welche Bundesgerichtsbarkeit nach Artikel 23 gegeben ist, den kantonalen Behörden zur Untersuchung und Beurteilung, ausnahmsweise nur zur Beurteilung übertragen. Ausgenommen sind Strafsachen nach Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe g.
2 In einfachen Fällen kann sie auch eine Strafsache, für welche Bundesgerichtsbarkeit nach Artikel 24 gegeben ist, den kantonalen Behörden zur Untersuchung und Beurteilung übertragen.

Art. 26 Mehrfache Zuständigkeit
1 Wurde die Straftat in mehreren Kantonen oder im Ausland begangen oder haben Täterinnen, Täter, Mittäterinnen, Mittäter, Teilnehmerinnen oder Teilnehmer ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in verschiedenen Kantonen, so
entscheidet die Staatsanwaltschaft des Bundes, welcher Kanton die Strafsache untersucht und beurteilt.
2 Ist in einer Strafsache sowohl Bundesgerichtsbarkeit als auch kantonale Gerichtsbarkeit gegeben, so kann die Staatsanwaltschaft des Bundes die Vereinigung der Verfahren in der Hand der Bundesbehörden oder der kantonalen Behörden anordnen.
3 Eine nach Absatz 2 begründete Gerichtsbarkeit bleibt bestehen, auch wenn der die Zuständigkeit begründende Teil des Verfahrens eingestellt wird.
4 Kommt eine Delegation im Sinne dieses Kapitels in Frage, so stellen die Staatsanwaltschaften des Bundes und der Kantone sich die Akten gegenseitig zur Einsichtnahme zu. Nach dem Entscheid gehen die Akten an die Behörde, welche die Sache
zu untersuchen und zu beurteilen hat.

Art. 27 Zuständigkeit für erste Ermittlungen
1 Ist in einem Fall Bundesgerichtsbarkeit gegeben, ist die Sache dringlich und sind die Strafbehörden des Bundes noch nicht tätig geworden, so können die polizeilichen Ermittlungen und die Untersuchung auch von den kantonalen Behörden durchgeführt
werden, die nach den Gerichtsstandsregeln örtlich zuständig wären. Die Staatsanwaltschaft des Bundes ist unverzüglich zu orientieren; der Fall ist ihr so bald als möglich zu übergeben beziehungsweise zum Entscheid nach Artikel 25 oder 26
zu unterbreiten.
2 Bei Straftaten, die ganz oder teilweise in mehreren Kantonen oder im Ausland begangen worden sind und bei denen die Zuständigkeit des Bundes oder eines Kantons noch nicht feststeht, können die Strafbehörden des Bundes erste Ermittlungen durchführen.

Art. 28 Konflikte
Konflikte zwischen der Staatsanwaltschaft des Bundes und kantonalen Strafbehörden entscheidet das Bundesstrafgericht.


Die Art. 22 - 28 grenzen die Kompetenz zwischen den Kantonen und dem Bund in der Strafverfolgung und Beurteilung von Straftaten ab. Dabei wurden im Prinzip die bisherigen Regelungen, wie sie im heutigen StGB Art. 336 - 338 sowie im Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege (BStP)enthalten sind ohne materielle Änderungen übernommen.

Art. 22 beinhaltet den Grundsatz, wonach die Verfolgung und Beurteilung von Straftaten des Bundesrechts (insb. des StGB aber auch der Nebenstrafgesetzgebung des Bundes) den Kantonen obliegt (so heute Art. 338 StGB bezüglich Straftatbeständen des StGB).

Art. 23 zählt diejenigen strafbaren Handlungen auf, die schon herkömmlicherweise der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterstanden.

Art. 24 enthält diejenigen strafbaren Handlungen, welche seit dem Inkrafttreten der sog. Effizienzvorlage am 1.1.2002 durch die Bundesanwaltschft verfolgt und seit der Aufnahme seiner Tätigkeit am 1.4.2004 durch das Bundesstrafgericht in Bellinzona beurteilt werden. Art. 24 übernimmt den heutigen Art. 337 des StGB. Unterschieden wird nach wie vor zwischen denjenigen strafbaren Handlungen, welche (unter den Voraussetzungen der lit. a und b) zwingend der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen (Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation, Art. 260ter StGB; Finanzierung des Terrorismus, Art. 260quinquies StGB; Geldwäscherei, Art. 305bis StGB; Mangelnde Sorgfalg bei Finanzgeschäften, Art. 305ter StGB sowie die Korruptionstatbestände der Art. 322ter - septies StGB und sämtliche strafbaren Handlungen, welche von einer kriminellen Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB ausgehen) einerseits und der fakultativen Bundeskompetenz bei Vermögens- und Urkundsdelikten (Wirtschaftskriminalität) gemäss Abs. 2 andererseits.

Zur Bundeskompetenz hinsichtlich strafbarer Handlungen, welche von einer kriminellen Organisation ausgehen, sei an dieser Stelle auf BGE 133 IV 235 verwiesen. Gemäss diesem Entscheid liegt Bundesgerichtsbarkeit auch in Fällen vor, in denen Art. 260ter StGB nicht zur Anwendung gelangt, jedoch dringender Verdacht besteht oder bestand, dass strafbare Handlungen von Personen verübt wurden, welche einer Organisation angehören, die die Kriterien des Art. 260ter StGB erfüllt. Diesbezüglich ist die subsidäre Natur des Art. 260ter StGB zu beachten. Diese Bestimmung gelangt nicht zur Anwendung, wenn sich die Beteiligung des Täters an einer kriminellen Organisation in der Begeheung oder Beteiligung an einer konkreten Straftat erschöpft, deren Begehung oder Beteiligung daran, dem Täter nachgewiesen werden kann. Art. 337 StGB soll jedoch auch auf solche Fälle angewendet werden. Zudem soll die einmal angenommene Bundeskompetenz später nicht ohne Not in Frage gestellt werden dürfen, d.h. die Kompetenz des Bundesstrafgerichtes bleibt bestehen, auch wenn sich später ergibt, dass die Kriterien des Art. 260ter resp. der dazu entwickelten Rechtsprechung nicht erfüllt sind. Eine Ausnahme, welche die spätere Änderung der Zuständigkeit rechtfertigen würde, läge lediglich etwa dann vor, wenn die Annahme der Zuständigkeit durch die Bundesanwaltschaft bei Aufnahme der Ermittlungen offensichtlich missbräuchlich gewesen wäre.

Art. 25 übernimmt die bisherigen Regelungen des StGB resp. BStP mit zwei Ausnahmen. Die Delegation von Fällen nach Art. 23 ist vom Wortlaut her nicht mehr auf einfache Fälle beschränkt. Zudem ist die Delegation bei Völkermord (bei diesem Tatbestand sind wohl sowieso keine einfachen Fälle denkbar) ausgeschlossen.

Art. 26 übernimmt ebenfalls die heutigen Bestimmungen des BStP mit der Ausnahme, dass zum Entscheid, welcher Kanton im Falle von Abs. 1 zur Strafverfolgung ermächtigt und verpflichet ist, nur noch die Staatsanwaltschaft des Bundes und nicht (auch) das Bundesstrafgericht zuständig ist.

Art. 27 Abs. 1 ermächtigt die Kantone in dringenden Fällen bei Bundesgerichtsbarkeit Ermittlungen oder Untersuchungshandlungen vorzunehmen. Gemäss Abs. 2 ist auch der Bund zur Vornahme der ersten Ermittlungshandlungen befugt, in Fällen, bei denen noch keine Zuständigkeit eines einzelnen Kantons oder des Bundes feststeht. Gedacht wird dabei primär an Fälle grenzüberschreitender Netzwerkkriminalität (s. BBl 2006, S. 1141). Im Gegensatz zu Abs. 1 spricht Abs. 2 nur von Ermittlungshandlungen und nicht auch Untersuchungshandlungen.

Art. 28 entspricht der heutigen Regelung im BStP.

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