Samstag, Oktober 27, 2007

CHStPO: Kommentar zu Art. 11

Art. 11 Verbot der doppelten Strafverfolgung
1 Wer in der Schweiz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, darf wegen der gleichen Straftat nicht erneut verfolgt werden.
2 Vorbehalten bleiben die Wiederaufnahme eines eingestellten oder nicht anhand genommenen Verfahrens und die Revision.


Art. 11 statuiert – als letzten in der Reihe der Verfahrensgrundsätze des ersten Titels - einen weiteren im Strafverfahrensrecht zentralen Grundsatz: „ne bis in idem“. Demnach darf niemand wegen der gleichen Sache zweimal verfolgt werden. Abs. 1 stellt jedoch sogleich klar, dass dieser Grundsatz sich nur auf Verurteilungen in der Schweiz bezieht. Unter welchen Bedingungen ein im Ausland bereits verurteilter in der Schweiz noch verfolgt und bestraft werden kann bestimmt sich nach den Art. 3 – 7 StGB. Wie die meisten anderen Rechtsgrundsätze des Strafverfahrensrechts ist auch das Verbot der doppelten Strafverfolgung bereits in verfassungs- und völkerrechtlichen Bestimmungen verankert (Art. 8 BV, Art. 4 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur EMRK, Art. 14 Abs. 7 IPBPR; vgl. auch Art. 20 des Römer Statuts, s. hiezu Botschaft zur CHStPO, BBl 2006, S. 1133).

Ein materiell rechtskräftiges Urteil in der gleichen Sache ist ein von Amtes wegen zu prüfendes Verfahrenshindernis das nicht nur die Durchführung eines Gerichtsverfahrens, sondern bereits die Einleitung einer Strafuntersuchung verunmöglicht (s. Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, 2004, Rz. 538 f und 588). Eine gewisse Uneinigkeit besteht in Lehre und Rechtsprechung, wann eine sog. Tatidentität besteht, d.h. ob auf den historischen Lebenssachverhalt abzustellen ist, so wie er sich effektiv verwirklicht hat oder auf den Sachverhalt, der Gegenstand des Gerichtsverfahrens war (s. dazu etwa BGE 118 IV 269). Ausgeschlossen ist jedenfalls eine Verurteilung desselben Täters wegen einem Tatbestand, der zu dem bereits beurteilten in unechter Konkurrenz steht (Schmid, Rz. 589). Entscheidend kann diese Kontroverse etwa in folgendem Beispiel sein. A wird vom Vorhalt der vorsätzlichen Tötung des B freigesprochen, weil das Gericht zum Schluss kommt, dass A der Vorsatz fehlte, er jedoch durch eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit den Tod von B fahrlässig verursacht hat. Wegen diesem Sachverhalt kann er jedoch nicht verurteilt werden, da eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit dem A in der Anklageschrift nicht vorgeworfen wurde (Anklageprinzip). Wollte man nun auf den historischen Lebenssachverhalt abstellen (also die Tötung des B durch den A) so wäre eine erneute Strafverfolgung gegen A, diesmal wegen fahrlässiger Tötung nicht möglich. Vom Ergebnis her kann dies wohl kaum akzeptiert werden (denkbar wäre ja etwa auch die umgekehrte Konstellation mit dem noch stossenderen Ergebnis, dass der A trotz erwiesenem Tötungsvorsatz nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann). Es ist daher die Lösung vorzuziehen, dass bezüglich der Tatidentität auf den prozessual festgestellten Sachverhalt abzustellen ist (so auch Schmid).

Der Grundsatz ne bis in idem richtet sich nur gegen zweifache Verurteilungen strikt strafrechtlicher Natur. So ist bspw. die gleichzeitige Verurteilung desselben Täters in einem Steuerstrafverfahren wegen Steuerhinterziehung und durch die ordentlichen Strafbehörden wegen Steuerbetrugs nicht ausgeschlossen: BGE 122 I 257. Ebenfalls zulässig ist der Führerausweisentzug, der kumulativ zur Bestrafung wegen SVG-Widerhandlungen verfügt wird: BGE 125 II 402.

Abs. 2 regelt die Ausnahmen vom Grundsatz „ne bis in idem“, wobei es sich streng genommen bei der erstgenannten Konstellation einer früheren Verfahrenseinstellung nicht um eine Ausnahme des Grundsatzes handelt, da dieser sich, wie sich bereits aus dem Wortlaut des Abs. 1 ergibt, auf frühere Freisprüche oder Verurteilungen bezieht. Art. 323 regelt die Voraussetzungen unter denen die Staatsanwaltschaft ein eingestelltes Strafverfahren wieder aufnehmen kann. Es müssen neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen, welche für eine strafrechtliche Verantwortung des Beschuldigten sprechen und sich nicht aus den früheren Akten ergaben. Um eine echte Ausnahme handelt es sich indes bei der Revision (Art. 410 ff).

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