CHStPO: Kommentar zu Art. 10
Art. 10 Unschuldsvermutung und Beweiswürdigung
1 Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
2 Das Gericht würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung.
3 Bestehen unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat, so geht das Gericht von der für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage aus.
„Wer Recht erkennen will, muss zuvor in richtiger Weise gezweifelt haben.“ Dieser Ausspruch stammt von Aristoteles. Der Grundsatz „in dubio pro reo“, welcher wohl einen der wichtigsten Rechtsgrundsätze darstellt, geht schon auf die vom genannten griechischen Philosophen geprägte Rechtsauffassung zurück. Heute ist er u.a. auch Bestandteil der EMRK (Art. 6 Ziff. 2) und der Schweizerischen Bundesverfassung (Art. 32 Abs. 1).
Der Grundsatz „in dubio pro reo“ hat zwei wesentliche Kerngehalte: Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime verletzt, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang. Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (BGE 127 I 38). Diese Beweiswürdigungsregel wird in Art. 10 Abs. 3 explizit verankert, währenddem Abs. 1 die Unschuldsvermutung als Beweislastregel statuiert.
Art. 10 Abs. 1 geht jedoch in seiner Tragweite noch weiter: er verpflichtet insb. die Strafverfolgungsbehörden (aber nicht nur diese) den Beschuldigten bis zur rechtskräftigen Verurteilung als Unschuldigen zu behandeln. Dies führt naturgemäss im Strafprozess in der Praxis immer wieder zu Spannungsverhältnissen. So gibt die Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden teilweise einschneidende Zwangsmassnahmen in die Hand, wie etwa die Durchsuchung, die Telefonüberwachung, Beschlagnahmungen und – am einschneidensten – die Untersuchungshaft. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Zwangsmassnahmen und Unschuldsvermutung wird offenkundig, wenn man sich vergegenwärtigt, dass all diese Zwangsmassnahmen gemäss dem Grundsatz der Unschuldsvermutung notgedrungen immer Unschuldige treffen.
Die Unschuldsvermutung wendet sich jedoch auch an Dritte, die nicht direkt Prozessbeteiligte sind, so etwa an die Medien, welche über Strafverfahren berichten. Währenddem die Strafverfolgungsbehörden direkt gestützt auf die Unschuldsvermutung zu einer gewissen Zurückhaltung im Rahmen der Information der Öffentlichkeit verpflichtet sind (s. Art. 74 Abs. 3 und Entscheid der Anklagekammer des Schweizerischen Bundesgerichtes vom 25.9.2000 i.S. Dino Bellasi 8G.36/2000), kann dieser Grundsatz den Medien gegenüber wohl nicht direkt durchgesetzt werden.
Schliesslich ist die Unschuldsvermutung auch bei der Auferlegung von Kosten an den Beschuldigten im Falle eines Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung (Art. 426 Abs. 2) zu beachten (Urteil des EuGMR vom 25. März 1983 i.S. Minelli)
Abs. 2 statuiert den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Der Zusammenhang zwischen diesem Grundsatz und dem Grundsatz „in dubio pro reo“ besteht darin, dass ersterer durch letzteren eingeschränkt wird. Der Richter ist also grundsätzlich frei in der Beweiswürdigung. Hat er allerdings unüberwindbare Zweifel an der Schuld des Angeklagten, so ist er verpflichtet, diesen freizusprechen. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist jedoch auch dann verletzt, wenn der Richter nach freier Ausübung der Beweiswürdigung keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat, gemäss objektiver Beweislage jedoch solche haben sollte.
1 Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
2 Das Gericht würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung.
3 Bestehen unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat, so geht das Gericht von der für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage aus.
„Wer Recht erkennen will, muss zuvor in richtiger Weise gezweifelt haben.“ Dieser Ausspruch stammt von Aristoteles. Der Grundsatz „in dubio pro reo“, welcher wohl einen der wichtigsten Rechtsgrundsätze darstellt, geht schon auf die vom genannten griechischen Philosophen geprägte Rechtsauffassung zurück. Heute ist er u.a. auch Bestandteil der EMRK (Art. 6 Ziff. 2) und der Schweizerischen Bundesverfassung (Art. 32 Abs. 1).
Der Grundsatz „in dubio pro reo“ hat zwei wesentliche Kerngehalte: Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime verletzt, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang. Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (BGE 127 I 38). Diese Beweiswürdigungsregel wird in Art. 10 Abs. 3 explizit verankert, währenddem Abs. 1 die Unschuldsvermutung als Beweislastregel statuiert.
Art. 10 Abs. 1 geht jedoch in seiner Tragweite noch weiter: er verpflichtet insb. die Strafverfolgungsbehörden (aber nicht nur diese) den Beschuldigten bis zur rechtskräftigen Verurteilung als Unschuldigen zu behandeln. Dies führt naturgemäss im Strafprozess in der Praxis immer wieder zu Spannungsverhältnissen. So gibt die Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden teilweise einschneidende Zwangsmassnahmen in die Hand, wie etwa die Durchsuchung, die Telefonüberwachung, Beschlagnahmungen und – am einschneidensten – die Untersuchungshaft. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Zwangsmassnahmen und Unschuldsvermutung wird offenkundig, wenn man sich vergegenwärtigt, dass all diese Zwangsmassnahmen gemäss dem Grundsatz der Unschuldsvermutung notgedrungen immer Unschuldige treffen.
Die Unschuldsvermutung wendet sich jedoch auch an Dritte, die nicht direkt Prozessbeteiligte sind, so etwa an die Medien, welche über Strafverfahren berichten. Währenddem die Strafverfolgungsbehörden direkt gestützt auf die Unschuldsvermutung zu einer gewissen Zurückhaltung im Rahmen der Information der Öffentlichkeit verpflichtet sind (s. Art. 74 Abs. 3 und Entscheid der Anklagekammer des Schweizerischen Bundesgerichtes vom 25.9.2000 i.S. Dino Bellasi 8G.36/2000), kann dieser Grundsatz den Medien gegenüber wohl nicht direkt durchgesetzt werden.
Schliesslich ist die Unschuldsvermutung auch bei der Auferlegung von Kosten an den Beschuldigten im Falle eines Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung (Art. 426 Abs. 2) zu beachten (Urteil des EuGMR vom 25. März 1983 i.S. Minelli)
Abs. 2 statuiert den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Der Zusammenhang zwischen diesem Grundsatz und dem Grundsatz „in dubio pro reo“ besteht darin, dass ersterer durch letzteren eingeschränkt wird. Der Richter ist also grundsätzlich frei in der Beweiswürdigung. Hat er allerdings unüberwindbare Zweifel an der Schuld des Angeklagten, so ist er verpflichtet, diesen freizusprechen. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist jedoch auch dann verletzt, wenn der Richter nach freier Ausübung der Beweiswürdigung keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat, gemäss objektiver Beweislage jedoch solche haben sollte.
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