CHStPO: Kommentar zu Art. 2
Art. 2 Ausübung der Strafrechtspflege
1 Die Strafrechtspflege steht einzig den vom Gesetz bestimmten Behörden zu.
2 Strafverfahren können nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen durchgeführt und abgeschlossen werden.
Abs. 1 statuiert das Strafmonopol des Staates. Die historische Entwicklung des staatlichen Strafmonopols hat einen langen Weg hinter sich. Während über tausend Jahren der Weltgeschichte herrschte das Vergeltungssystem der Fehde vor. Bei den Germanen diente die Fehde (also die Regulierung von Rechtsbrüchen direkt zwischen Geschädigtem und Schädiger unter Ausschluss einer übergeordneten Instanz) noch zur Verteidigung des Hausfriedens. Bereits das römische Recht kannte jedoch Ansätze unseres heutigen Strafrechtswesens. Auch wenn das Strafrecht nicht im Mittelpunkt der römischen Rechtskultur stand, so sind bspw. im sog. Zwölftafelgesetz (450 v. Chr.) erste Ansätze unseres heutigen modernen Strafrechts ersichtlich. Die zwölfte Tafel regelte die Sanktionierung des Verbrechens. So etwa: Si vindiciam falsam tulit, si velit is . . . tor arbitros tris dato, eorum arbitrio . . . fructus duplione damnum decidito (Wer eine falsche Behauptung aufstellt, soll vor drei Richter gestellt werden, und auf das Doppelte verurteilt werden).
Eine erste umfassende Einschränkung des Fehdewesens gelang Kaiser Friedrich II. 1235 mit dem sog. Mainzer Landfrieden.
Bis in die Neuzeit erhalten blieben Ansätze des Fehdegedankens im Kanun, dem überlieferten Albanischen Gewohnheitsrecht. Auch der Kanun ist jedoch alles andere als rudimentäres Faustrecht. Das 10. Buch, der sog. Kanun gegen das Verbrechen, enthält zahlreiche Regeln über die Sühne von Verbrechen. Auch wenn der Kanun der Sippe und dem Blut eine starke Bedeutung beimisst, geht es keinesfalls um die Legalisierung der Blutrache (die Bedeutung der Blutrache im Kanun wird heute weitgehend missverstanden), So beginnt etwa das 8. Kapitel, das den Titel „Blut bleibt für Blut“ trägt wie folgt: „Wenn zwei sich gegenseitig töten, nachdem sie in Streit gerieten, beide sterben - dann sei Kopf für Kopf, Blut für Blut. Dies muß aber, um Weiterungen zu hindern, durch Vermittler befriedet werden. In diesem Fall können die Häuser der Getöteten voneinander keine Entschädigung fordern. Sie werden nach dem Kanun durch Bürgschaft gebunden.“ Das 9. Kapitel träge den Titel „Blut sei nicht für eine Schuld“ und beginnt wie folgt: „Jede Schuld, die ein Albaner gegen einen Albaner verübt, hat er das Recht, durch Altenrat und Pfänder zu ahnden; der Betroffene darf aber für solche Schuld nicht töten. Denn das Blut sei nicht für die Schuld.” In diesen Bestimmungen sind ebenfalls Ansätze des Beizuges von amtlichen Streitschlichtern ersichtlich.
Interessanterweise wird heute das staatliche Strafverfolgungsmonopol ansatzweise wieder in Frage gestellt. Zu denken sei etwa an die in gewissen Quartieren organisierten „Quartierwehren“ oder die zunehmende Inanspruchnahme privater Sicherheitsdienste durch Gemeinden in Folge der in den meisten Kantonen zunehmend zentralisierten Polizeiorganisation. Solche Bestrebungen sind Ausdruck eines in der Bevölkerung sich entwickelnden Unbehagens angesichts eines vermeintlichen Versagens der staatlichen Sicherheitspolitik. Interessant ist auch die Reaktion des Staates darauf: So hat etwa der Kanton Solothurn mit Kantonsratsbeschluss vom 15.5.2007 im Gesetz über die Kantonspolizei den Status des Polizeilichen Sicherheitsassistenten (eines im Angestelltenverhältnis tätigen Staatsangestellten mit beschränkten polizeilichen Befugnissen) geschaffen.
Vor diesem historischen Hintergrund ist Art. 2 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung durchaus eine wichtige und auch notwendige Bestimmung, quasi ein Bollwerk gegen die Privatisierung der Strafverfolgung im weiteren Sinne.
Abs. 2 statuiert den Grundsatz der Formstrenge. Ein Strafverfahren ist förmlich zu eröffnen und entsprechend zu dokumentieren und kann nur auf eine gesetzlich genau vorgeschriebene Art und Weise erledigt werden (namentlich durch Einstellung, Anklageerhebung oder Strafbefehl).
1 Die Strafrechtspflege steht einzig den vom Gesetz bestimmten Behörden zu.
2 Strafverfahren können nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen durchgeführt und abgeschlossen werden.
Abs. 1 statuiert das Strafmonopol des Staates. Die historische Entwicklung des staatlichen Strafmonopols hat einen langen Weg hinter sich. Während über tausend Jahren der Weltgeschichte herrschte das Vergeltungssystem der Fehde vor. Bei den Germanen diente die Fehde (also die Regulierung von Rechtsbrüchen direkt zwischen Geschädigtem und Schädiger unter Ausschluss einer übergeordneten Instanz) noch zur Verteidigung des Hausfriedens. Bereits das römische Recht kannte jedoch Ansätze unseres heutigen Strafrechtswesens. Auch wenn das Strafrecht nicht im Mittelpunkt der römischen Rechtskultur stand, so sind bspw. im sog. Zwölftafelgesetz (450 v. Chr.) erste Ansätze unseres heutigen modernen Strafrechts ersichtlich. Die zwölfte Tafel regelte die Sanktionierung des Verbrechens. So etwa: Si vindiciam falsam tulit, si velit is . . . tor arbitros tris dato, eorum arbitrio . . . fructus duplione damnum decidito (Wer eine falsche Behauptung aufstellt, soll vor drei Richter gestellt werden, und auf das Doppelte verurteilt werden).
Eine erste umfassende Einschränkung des Fehdewesens gelang Kaiser Friedrich II. 1235 mit dem sog. Mainzer Landfrieden.
Bis in die Neuzeit erhalten blieben Ansätze des Fehdegedankens im Kanun, dem überlieferten Albanischen Gewohnheitsrecht. Auch der Kanun ist jedoch alles andere als rudimentäres Faustrecht. Das 10. Buch, der sog. Kanun gegen das Verbrechen, enthält zahlreiche Regeln über die Sühne von Verbrechen. Auch wenn der Kanun der Sippe und dem Blut eine starke Bedeutung beimisst, geht es keinesfalls um die Legalisierung der Blutrache (die Bedeutung der Blutrache im Kanun wird heute weitgehend missverstanden), So beginnt etwa das 8. Kapitel, das den Titel „Blut bleibt für Blut“ trägt wie folgt: „Wenn zwei sich gegenseitig töten, nachdem sie in Streit gerieten, beide sterben - dann sei Kopf für Kopf, Blut für Blut. Dies muß aber, um Weiterungen zu hindern, durch Vermittler befriedet werden. In diesem Fall können die Häuser der Getöteten voneinander keine Entschädigung fordern. Sie werden nach dem Kanun durch Bürgschaft gebunden.“ Das 9. Kapitel träge den Titel „Blut sei nicht für eine Schuld“ und beginnt wie folgt: „Jede Schuld, die ein Albaner gegen einen Albaner verübt, hat er das Recht, durch Altenrat und Pfänder zu ahnden; der Betroffene darf aber für solche Schuld nicht töten. Denn das Blut sei nicht für die Schuld.” In diesen Bestimmungen sind ebenfalls Ansätze des Beizuges von amtlichen Streitschlichtern ersichtlich.
Interessanterweise wird heute das staatliche Strafverfolgungsmonopol ansatzweise wieder in Frage gestellt. Zu denken sei etwa an die in gewissen Quartieren organisierten „Quartierwehren“ oder die zunehmende Inanspruchnahme privater Sicherheitsdienste durch Gemeinden in Folge der in den meisten Kantonen zunehmend zentralisierten Polizeiorganisation. Solche Bestrebungen sind Ausdruck eines in der Bevölkerung sich entwickelnden Unbehagens angesichts eines vermeintlichen Versagens der staatlichen Sicherheitspolitik. Interessant ist auch die Reaktion des Staates darauf: So hat etwa der Kanton Solothurn mit Kantonsratsbeschluss vom 15.5.2007 im Gesetz über die Kantonspolizei den Status des Polizeilichen Sicherheitsassistenten (eines im Angestelltenverhältnis tätigen Staatsangestellten mit beschränkten polizeilichen Befugnissen) geschaffen.
Vor diesem historischen Hintergrund ist Art. 2 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung durchaus eine wichtige und auch notwendige Bestimmung, quasi ein Bollwerk gegen die Privatisierung der Strafverfolgung im weiteren Sinne.
Abs. 2 statuiert den Grundsatz der Formstrenge. Ein Strafverfahren ist förmlich zu eröffnen und entsprechend zu dokumentieren und kann nur auf eine gesetzlich genau vorgeschriebene Art und Weise erledigt werden (namentlich durch Einstellung, Anklageerhebung oder Strafbefehl).
2 Comments:
Also wenn das so weitergeht muss man den Labeo-Kommentar zur Pflichtlektüre für Jurastudenten erklären.
Zu Abs. 2 ein Gedanke: Wann beginnt denn ein Strafverfahren? Diese banal wirkende Frage hat in der Praxis enorme Bedeutung, weil die formelle Eröffnung der Verfahren immer weiter hinausgeschoben wird. Im Extremfall schliesst die Polizei die Ermittlungen ab, bevor die Staatsanwaltschaft und manchmal auch der Beschuldigte selbst überhaupt informiert wird. Konkret sieht die Praxis oft so aus: Die Staatsanwaltschaft wird erst informiert, wenn sie als Lieferantin von Bewilligungen für Zwangsmassnahmen wie Hausdurchsuchungen gebraucht wird.
Das ist in der Tat eine spannende Frage. Ich werde mich damit im Rahmen der Kommentierung der Art. 306 ff, insb. Art. 307 vertiefter auseinander setzen (das wird noch nicht heute oder Morgen sein ;=). Klar scheint mir jedoch, dass die CHStPO ein relativ starkes Gewicht auf die Kontrolle der polizeilichen Tätigkeit durch die Staatsanwaltschaft legt. Art. 12 bezeichnet die Polizei explizit als Strafverfolgungsbehörde, damit ist auch klar, dass es kein Handeln der sog. Gerichtspolizei ausserhalb der StPO geben kann. Gemäss Art. 15 Abs. 2 untersteht die Polizei der Aufsicht und den Weisungen der Staatsanwaltschaft. An dieser Bestimmung haben nicht alle Polizisten Freude. Jetzt haben Sie mich aber schon fast zu einem zu extensiven Vorgreifen provoziert. Wir wollen doch nicht schon alle spannenden Fragen vorwegnehmen.
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