CHStPO: Kommentar zu Art. 5
Art. 5 Beschleunigungsgebot
1 Die Strafbehörden nehmen die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss.
2 Befindet sich eine beschuldigte Person in Haft, so wird ihr Verfahren vordringlich durchgeführt.
Der Anspruch auf Verfahrensbeschleunigung ergibt sich auch aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Demnach hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache innert angemessener Frist gehört wird. Bezüglich der Frage, welche Dauer in einem Strafverfahren noch als angemessen betrachtet werden kann, gibt es nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe keine bestimmten Zeitgrenzen. Diese Frage ist somit im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen, wobei sowohl das Verhalten der Strafverfolgungsbehörden, wie auch dasjenige des Beschuldigten, aber auch die Komplexität der Sache zu beachten sind. Die Frist, deren Angemessenheit zu beachten ist, beginnt mit der offiziellen amtlichen Mitteilung der zuständigen Behörde an den Betroffenen, dass ihm die Begehung einer Straftat angelastet werde.
Gemäss konstanter Rechtsprechung kommen im Falle einer festgestellten Verletzung des Beschleunigungsgebotes primär folgende Sanktionen in Frage: Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung oder Schuldigsprechung des Täters unter gleichzeitigem Verzicht auf Strafe. Die Einstellung des Strafverfahrens, ohne dass zufolge der Verfahrensverzögerung schon die Verjährung eingetreten wäre, ist zwar nicht ganz auszuschliessen, kommt jedoch nur in ganz aussergewöhnlichen Fällen in Betracht. Einerseits muss das Ausmass der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegen. Andererseits muss die Dauer des Verfahrens mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten verbunden gewesen sein (bspw. Untersuchungshaft von längerer Dauer).
Bei der Sanktionierung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist grundsätzlich neben der Schwere der dadurch entstandenen Belastung für den Beschuldigten auch die Schwere der ihm vorgeworfenen Straftaten und die Höhe der ohne Strafmilderung zu erwartenden Strafe zu berücksichtigen. Mitberücksichtigt werden müssen jedoch auch allfällige Interessen von Geschädigten, die die Verfahrensverzögerung nicht zu vertreten haben (siehe zum ganzen BGE 117 IV 124).
In einem Urteil v. 1.7.92 entschied die Kommission des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betreffend einen Wirtschaftsstraffall, die Verfahrensdauer von 12 Jahren stelle unter Berücksichtigung der Komplexität der Sache noch keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes dar (VPB 56.54).
Zu Abs. 2:
Eine besondere Bedeutung kommt dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dabei obliegt es, abgesehen von der Verpflichtung der Strafuntersuchungsorgane zu besonders beförderlicher Verfahrensführung, primär dem Haftprüfungsrichter, im Rahmen der Bewilligung der Haftanordnung oder Haftverlängerung allfälligen sich abzeichnenden Verletzungen des Beschleunigungsgebotes zu begegnen, indem den Untersuchungsorganen entsprechende Fristen gesetzt werden resp. die Haft nur für die unter Beachtung des Beschleunigungsgedankens noch akzeptable Dauer zu bewilligen ist. In besonders krassen Fällen kann die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes im Haftverfahren geeignet sein, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen, was zu einer Haftentlassung zu führen hat. In der Praxis kommt dies jedoch äusserst selten vor.
Beispiele aus der Praxis in Haftfällen:
BGE 128 I 149: Der Beschuldigte legte im März 2001 ei n Geständnis bezüglich der Begehung von Sexualdelikten ab. Im Mai 2001 wurde ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Am 5. Juli wurden noch diverse Einvernahmen durchgeführt, worauf das Verfahren bis im Dezember 2001 ruhte. Am 20.12.2001 teilte der Gutachter der Bezirksanwältin mit, dass er sich als befangen erachte. Das Bundesgericht stellte fest, dass das Verfahren während acht Monaten faktisch geruht habe und dies eine unentschuldbare Verzögerung des Verfahrens darstelle. Diese erscheine als gravierend, aber noch nicht als derart krass, dass sie eine Haftentlassung zu rechtfertigen vermöge. Das Bundesgericht stellte indes auch fest, dass es sich hier um einen Grenzfall handle (zu einem Fall, der eine sofortige Haftentlassung gebiete).
Urteil vom 22.9.2006: Am 2.2.2006 wurde der polizeiliche Schlussbericht erstellt. Am 12.4.2006 führte der Staatsanwalt die Schlusseinvernahme mit dem Beschuldigten durch. Dieser stellte am 20.4.2006 weitere Beweisanträge, die der Staatsanwalt guthiess und daraufhin am 18.8.2006 einen Zeugen einvernahm. Gestützt auf diese Zeugeneinvernahme dehnte der Staatsanwalt das Strafverfahren aus. Das Bundesgericht stellte fest, dass der schleppende Rhythmus des staatsanwaltlichen Vorgehens unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes gewisse Bedenken erwecke. Eine besonders schwere Verfahrensverzögerung, welche die Rechtmässigkeit der Haft in Frage stellen würde, liege jedoch nicht vor.
Einen der seltenen Fälle, in denen das Bundesgericht zufolge einer festgestellten Verletzung des Beschleunigungsgebotes die sofortige Haftentlassung des Beschuldigten anordnete betrifft den folgenen Entscheid vom 30.5.2001: Der Beschuldigte in einem Fall eines umfangreichen Betrugsstrafvefahrens mit mehreren Deliktsphasen befand sich seit beinahe 1 Jahr in Untersuchungshaft. Das Bundesgericht stellte fest, es gehe nicht an, dass das Untersuchungsrichteramt einfach die polizeilichen Ermittlungen abwarte und erst dann mit der Vornahme eigener Untersuchungshandlungen beginne. Es kam zum Schluss, dass eine schwerwiegende Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliege. Das Bundesgericht traute dem Untersuchungsrichteramt zudem nicht zu, in absehbarer Zeit das bisher versäumte nachzuholen und ordnete daher die umgehende Haftentlassung des Beschuldigten an.
1 Die Strafbehörden nehmen die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss.
2 Befindet sich eine beschuldigte Person in Haft, so wird ihr Verfahren vordringlich durchgeführt.
Der Anspruch auf Verfahrensbeschleunigung ergibt sich auch aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Demnach hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache innert angemessener Frist gehört wird. Bezüglich der Frage, welche Dauer in einem Strafverfahren noch als angemessen betrachtet werden kann, gibt es nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe keine bestimmten Zeitgrenzen. Diese Frage ist somit im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen, wobei sowohl das Verhalten der Strafverfolgungsbehörden, wie auch dasjenige des Beschuldigten, aber auch die Komplexität der Sache zu beachten sind. Die Frist, deren Angemessenheit zu beachten ist, beginnt mit der offiziellen amtlichen Mitteilung der zuständigen Behörde an den Betroffenen, dass ihm die Begehung einer Straftat angelastet werde.
Gemäss konstanter Rechtsprechung kommen im Falle einer festgestellten Verletzung des Beschleunigungsgebotes primär folgende Sanktionen in Frage: Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung oder Schuldigsprechung des Täters unter gleichzeitigem Verzicht auf Strafe. Die Einstellung des Strafverfahrens, ohne dass zufolge der Verfahrensverzögerung schon die Verjährung eingetreten wäre, ist zwar nicht ganz auszuschliessen, kommt jedoch nur in ganz aussergewöhnlichen Fällen in Betracht. Einerseits muss das Ausmass der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegen. Andererseits muss die Dauer des Verfahrens mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten verbunden gewesen sein (bspw. Untersuchungshaft von längerer Dauer).
Bei der Sanktionierung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist grundsätzlich neben der Schwere der dadurch entstandenen Belastung für den Beschuldigten auch die Schwere der ihm vorgeworfenen Straftaten und die Höhe der ohne Strafmilderung zu erwartenden Strafe zu berücksichtigen. Mitberücksichtigt werden müssen jedoch auch allfällige Interessen von Geschädigten, die die Verfahrensverzögerung nicht zu vertreten haben (siehe zum ganzen BGE 117 IV 124).
In einem Urteil v. 1.7.92 entschied die Kommission des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betreffend einen Wirtschaftsstraffall, die Verfahrensdauer von 12 Jahren stelle unter Berücksichtigung der Komplexität der Sache noch keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes dar (VPB 56.54).
Zu Abs. 2:
Eine besondere Bedeutung kommt dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu. Dabei obliegt es, abgesehen von der Verpflichtung der Strafuntersuchungsorgane zu besonders beförderlicher Verfahrensführung, primär dem Haftprüfungsrichter, im Rahmen der Bewilligung der Haftanordnung oder Haftverlängerung allfälligen sich abzeichnenden Verletzungen des Beschleunigungsgebotes zu begegnen, indem den Untersuchungsorganen entsprechende Fristen gesetzt werden resp. die Haft nur für die unter Beachtung des Beschleunigungsgedankens noch akzeptable Dauer zu bewilligen ist. In besonders krassen Fällen kann die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes im Haftverfahren geeignet sein, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen, was zu einer Haftentlassung zu führen hat. In der Praxis kommt dies jedoch äusserst selten vor.
Beispiele aus der Praxis in Haftfällen:
BGE 128 I 149: Der Beschuldigte legte im März 2001 ei n Geständnis bezüglich der Begehung von Sexualdelikten ab. Im Mai 2001 wurde ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Am 5. Juli wurden noch diverse Einvernahmen durchgeführt, worauf das Verfahren bis im Dezember 2001 ruhte. Am 20.12.2001 teilte der Gutachter der Bezirksanwältin mit, dass er sich als befangen erachte. Das Bundesgericht stellte fest, dass das Verfahren während acht Monaten faktisch geruht habe und dies eine unentschuldbare Verzögerung des Verfahrens darstelle. Diese erscheine als gravierend, aber noch nicht als derart krass, dass sie eine Haftentlassung zu rechtfertigen vermöge. Das Bundesgericht stellte indes auch fest, dass es sich hier um einen Grenzfall handle (zu einem Fall, der eine sofortige Haftentlassung gebiete).
Urteil vom 22.9.2006: Am 2.2.2006 wurde der polizeiliche Schlussbericht erstellt. Am 12.4.2006 führte der Staatsanwalt die Schlusseinvernahme mit dem Beschuldigten durch. Dieser stellte am 20.4.2006 weitere Beweisanträge, die der Staatsanwalt guthiess und daraufhin am 18.8.2006 einen Zeugen einvernahm. Gestützt auf diese Zeugeneinvernahme dehnte der Staatsanwalt das Strafverfahren aus. Das Bundesgericht stellte fest, dass der schleppende Rhythmus des staatsanwaltlichen Vorgehens unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes gewisse Bedenken erwecke. Eine besonders schwere Verfahrensverzögerung, welche die Rechtmässigkeit der Haft in Frage stellen würde, liege jedoch nicht vor.
Einen der seltenen Fälle, in denen das Bundesgericht zufolge einer festgestellten Verletzung des Beschleunigungsgebotes die sofortige Haftentlassung des Beschuldigten anordnete betrifft den folgenen Entscheid vom 30.5.2001: Der Beschuldigte in einem Fall eines umfangreichen Betrugsstrafvefahrens mit mehreren Deliktsphasen befand sich seit beinahe 1 Jahr in Untersuchungshaft. Das Bundesgericht stellte fest, es gehe nicht an, dass das Untersuchungsrichteramt einfach die polizeilichen Ermittlungen abwarte und erst dann mit der Vornahme eigener Untersuchungshandlungen beginne. Es kam zum Schluss, dass eine schwerwiegende Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliege. Das Bundesgericht traute dem Untersuchungsrichteramt zudem nicht zu, in absehbarer Zeit das bisher versäumte nachzuholen und ordnete daher die umgehende Haftentlassung des Beschuldigten an.
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