Freitag, Oktober 19, 2007

CHStPO: Kommentar zu Art. 7 und 8

Art. 7 Verfolgungszwang
1 Die Strafbehörden sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden.
2 Die Kantone können vorsehen, dass:
a. die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder ihrer gesetzgebenden und richterlichen Behörden sowie ihrer Regierungen für Äusserungen im kantonalen Parlament ausgeschlossen oder beschränkt wird;
b. die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und
Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt.

Art. 8 Verzicht auf Strafverfolgung
1 Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen von der Strafverfolgung ab, wenn das Bundesrecht es vorsieht, namentlich unter den Voraussetzungen der Artikel 52, 53 und 54 des Strafgesetzbuches3 (StGB).
2 Sofern nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen, sehen sie ausserdem von einer Strafverfolgung ab, wenn:
a. der Straftat neben den anderen der beschuldigten Person zur Last gelegten Taten für die Festsetzung der zu erwartenden Strafe oder Massnahme keine wesentliche Bedeutung zukommt;
b. eine voraussichtlich nicht ins Gewicht fallende Zusatzstrafe zu einer rechtskräftig ausgefällten Strafe auszusprechen wäre;
c. eine im Ausland ausgesprochene Strafe anzurechnen wäre, welche der für die verfolgte Straftat zu erwartenden Strafe entspricht.
3 Sofern nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen, können Staatsanwaltschaft und Gerichte von der Strafverfolgung absehen, wenn die Straftat bereits von einer ausländischen Behörde verfolgt oder die Verfolgung an
eine solche abgetreten wird.
4 Sie verfügen in diesen Fällen, dass kein Verfahren eröffnet oder das laufende Verfahren eingestellt wird.


Art. 7 und 8 stehen in engem sachlichen Zusammenhang zueinander. Während Art. 7 das strafprozessuale Legalitätsprinzip statuiert, regelt Art. 8 dessen Einschränkung im Sinne des gemässigten Opportunitätsprinzips.

Abs. 2 von Art. 7 übernimmt im Wesentlichen die Regelung gemäss heutigem Art. 347 StGB. Lit. a dehnt die parlamentarische Immunität auf Mitglieder der Regierung und der Gerichte aus, für den Fall, dass auch diese sich in parlamentarischen Beratungen zu äussern haben. Lit. b will die genannten Beamten vor ungerechtfertigten Anzeigen im Zusammenhang mit ihrer Amtstätigkeit schützen. Im Gegensatz zu Art. 347 StGB ist dieser Schutz nicht mehr auf die obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden beschränkt.

Art. 8 ermöglicht es der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht, unter gewissen Voraussetzungen von einer Strafverfolgung abzusehen. Dieser Entscheid hat in jedem Fall durch eine förmliche und anfechtbare Verfügung zu erfolgen. Die Art. 52 – 54 StGB, auf die in Abs. 1 verwiesen wird, erfassen Konstellationen, in denen das Strafbedürfnis gegenüber dem Täter aus bestimmten Gründen, welche mit dem Täter oder dessen Tat zusammenhängen, kaum mehr gegeben ist. In diesen Fällen kann auf eine Strafverfolgung vollständig verzichtet werden. Demgegenüber geht es in den Absätzen 2 und 3 um Konstellationen, in denen der Täter bereits wegen anderen Delikten oder im Ausland verfolgt oder bestraft wird oder wurde. Man könnte die erste Konstellation (Art. 52 – 54 StGB) in gewisser Weise als subjektives Opportunitätsprinzip bezeichnen, weil jeweils (auch) auf das geringe Verschulden des Täters oder dessen Verhalten nach der Tat oder Betroffenheit durch die Tat abgestellt wird. Demgegenüber geht es beim objektiven Opportunitätsprinzip (Abs. 2 und 3) darum, den Strafverfolgungsorganen unnötigen Aufwand zu ersparen, resp. diejenigen strafbaren Handlungen nicht mehr zu verfolgen, welche bezüglich des Strafmasses nicht mehr von Gewicht sind oder bereits im Ausland verfolgt oder bestraft wurden. Beim subjektiven Opportunitätsprinzip steht der Sühnegedanke im Vordergrund, währenddem es beim objektiven Opportunitätsprinzip primär um Effizienzüberlegungen geht. Dem Effizienzgedanken sollen jedoch nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft geopfert werden. Diese stehen der Anwendung des objektiven Opportunitätsprinzips entgegen.

Gewisse Schnittstellen zum objektiven Opportunitätsprinzip ergeben sich auch beim sog. abgekürzten Verfahren, Art. 358 ff. Auch hier geht es um eine Aufwandminimierung im Sinne des Effizienzgedankens. Auch das abgekürzte Verfahren stellt in gewisser Weise eine Einschränkung des strafprozessualen Legalitätsprinzipes dar, ermöglicht es doch den Verzicht auf ein Beweisverfahren, wenn der Beschuldigte den für die rechtliche Würdigung wesentlichen Sachverhalt anerkennt. Das sog. abgekürzte Verfahren ist vergleichbar mit dem „Plea Bargaining“ des amerikanischen Strafprozesses. Faktisch kann dieses Verfahren auch dazu führen, dass eine strafbare Handlung nicht geahndet wird, weil auf das Beweisverfahren verzichtet wird. Wenn bspw. der Täter einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt anerkennt, kann dies dazu führen, dass weitere, möglicherweise ebenfalls strafrechtlich relevante Sachverhalte, mangels durchgeführtem Beweisverfahren gar nicht zum Gegenstand des Prozesses werden. Die Krux liegt eben darin, welcher Sachverhalt (den der Beschuldigte eingestehen soll) als für die rechtliche Würdigung wesentlich erachtet wird. Auch beim abgekürzten Verfahren sollen die Zivilansprüche nicht auf der Strecke bleiben, setzt doch die Durchführung des abgekürzten Verfahrens deren Anerkennung durch den Beschuldigten zumindest im Grundsatze voraus.

Alle diese Ansätze zur Einschränkung des strafprozessualen Legalitätsprinzips zeugen letztendlich von der Einsicht, dass es dem Staat nie möglich sein wird, sämtliche strafbaren Handlungen, welche irgendwann irgendwo begangen werden zu ahnden. Eine bedingungslose Durchsetzung des strafprozessualen Legalitätsprinzips wäre wohl weder wünschenswert noch bezahlbar. In letzter Zeit erleben wir sozusagen in gewisser Weise eine Ökonomisierung des Strafrechts. Die Politik stellt sich zunehmend die Frage, was Sicherheit und Strafjustiz kosten darf. Dies ist an sich nicht falsch. Auf der anderen Seite wäre auch eine gewisse Sparsamkeit wünschenswert, wenn es um die Schaffung neuer Straftatbestände geht. In dieser Hinsicht erleben wir momentan eine wahre Inflation. Praktisch jedes neue Gesetz welches geschaffen wird – und die Gesetzesmaschinerie dreht sich in letzter Zeit immer schneller – enthält Strafbestimmungen, welche die Nichtbeachtung des neuen Gesetzes ahnden sollen (kleines Beispiel gefällig ? bitte schön: Die Vögel werden plötzlich von der Grippe bedroht, also beschliesst der Staat die Vögel einzusperren. Was aber machen wir mit den Vogelhaltern, die ihre Vögel nicht einsperren ? Kein Problem: Wenn wir schon nicht alle Vögel einsperren können, dann sperren wir halt die unfolgsamen Vogelhalter ein; so geschehen: hier ). Ob dies eine gute Entwicklung darstellt, wäre wohl auch mal ein Gedanke wert.

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